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Regierung arbeitet an »Riesengesetz« für Cannabis-Freigabe

Die Legalisierung von Cannabis ist ein zentrales Projekt der Ampel-Koalition - und heftig umstritten. Nun wurden konkrete Überlegungen bekannt. Und schon setzt es Kritik von allen Seiten.

Cannabis-Legalisierung
Hanf-Pflanzen (Cannabis) wachsen in einem Garten. Foto: Oliver Berg
Hanf-Pflanzen (Cannabis) wachsen in einem Garten.
Foto: Oliver Berg

Eine mögliche Cannabis-Freigabe in Deutschland rückt näher. Derzeit arbeite die Bundesregierung an einer »großen Lösung«, hieß es am Mittwoch in Berliner Regierungskreisen. Demnach soll nicht nur der Eigenanbau von Cannabis straffrei werden, sondern auch der Verkauf und die Beschaffung.

Konkret könnten ab 18 Jahren 20 Gramm des Hanfgewächses mit psychoaktiver Wirkung legal gekauft werden, berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) unter Berufung auf ein Eckpunktepapier des Gesundheitsressorts. Die Union reagierte prompt mit heftiger Kritik - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) solle die Pläne stoppen. Die Grünen, die Linke und der Hanfverband mahnten dagegen, das Gesetz solle nicht zu restriktiv ausfallen.

Ein Sprecher von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte, dass noch kein in der Regierung abgestimmtes Eckpunktepapier vorliege. Die Ressorts für Gesundheit, Justiz, Wirtschaft, Agrar, Inneres und das Auswärtige Amt arbeiteten aber zusammen an der Umsetzung des Koalitionsvertrags. Dort hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, eine »kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften« einzuführen. Zur Vorbereitung umfangreicher Regelungen dafür waren mehrere Expertenanhörungen organisiert worden. Lauterbach hatte zum Herbst Eckpunkte und für Ende des Jahres einen Gesetzentwurf angekündigt.

»Es wird ein Riesengesetz«

Wie es in Ministeriumskreisen am Mittwoch weiter hieß, gebe es noch "erheblichen Klärungsbedarf". Ziel sei es, durch die Legalisierung die gesundheitlichen Risiken zu verkleinern, die durch den Schwarzmarkt und den unkontrollierten Anbau und Verkauf entstünden. Der Kinder- und Jugendschutz stehe im Vordergrund. »Es wird ein Riesengesetz«, hieß es im Gesundheitsressort weiter.

Unterschied nach Alter:

Nach dem Bericht des RND sehen die vorläufigen Eckpunkte vor, den Eigenanbau von bis zu zwei Cannabis-Pflanzen zu erlauben. Die Menge des berauschenden Wirkstoffs THC solle maximal 15 Prozent betragen dürfen. Um »cannabisbedingte Gehirnschädigungen« zu verhindern, dürften an jüngere Menschen von 18 bis 21 Jahre nur Produkte mit einem THC-Gehalt von höchstens 10 Prozent verkauft werden. Würden Jugendliche unter 18 Jahre mit Cannabis erwischt, solle Straffreiheit gelten. Allerdings sollten Jugendämter sie zur Teilnahme an Präventionskursen verpflichten. Für Standorte von Cannabis-Geschäften stünden Mindestabstände zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen im Blick. Trotz einer Legalisierung solle es untersagt bleiben, für Cannabis-Produkte zu werben.

Rechtliche Hürden in Europa:

Verhindern will die Regierung vor allem ein Scheitern in Europa, ein »Morbus Scheuer«, wie es in Berlin weiter hieß. In der Ampel wird damit der frühere Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gemneint, der mit einem Prestigeprojekt der CSU, einer Pkw-Maut, europarechtlich gescheitert war. Deshalb sollen erst Eckpunkte abgestimmt und dann im Bundeskabinett verabschiedet werden - und erst wenn Brüssel und Straßburg grünes Licht signalisieren, soll ein Gesetzentwurf folgen, wie es hieß. »Wenn die Prüfung ergibt, dass es rechtlich nicht geht, werden wir kein Gesetz vorlegen«, verlautete aus der Regierung. Allerdings sei man doch zuversichtlich, dass es rechtlich gehe. Hintergrund sind unter anderem rechtliche Vorgaben, nach denen die Staaten zu Maßnahmen verpflichtet sind, die zur Unterbindung von unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln nötig sind. In Deutschland könnte Cannabis künftig rechtlich gar nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden.

Lauterbachs Angaben zufolge nutzten etwa vier Millionen Erwachsene Cannabis. Es gebe einen großen Schwarzmarkt, organisierte Kriminalität und Verunreinigungen. »Der Cannabiskonsum in Maßen, gut abgesichert, in Qualität und ohne Beschaffungskriminalität ist etwas, was man akzeptieren muss und was zu einer modernen Gesellschaft dazugehört«, hatte der Minister betont.

Kritik an den Plänen:

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, die Cannabis-Legalisierungspläne seiner Ampel-Koalition zu stoppen. "Damit droht - unabhängig von den bislang nicht bestätigten Einzelheiten - eine weitere Verharmlosung der Risiken durch diese Droge." Zu den Cannabis-Risiken zählten neben der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung negative Auswirkungen auf das Gedächtnis sowie auf Lern- und Denkleistungen".

CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger sagte dem RND: »Wenn Cannabis mit begrenztem THC-Gehalt in Deutschland produziert werden muss, dann wird der Preis bei den für die Aufzucht schwierigen klimatischen Bedingungen hierzulande (...) deutlich über dem Schwarzmarktpreis liegen.« Der Schwarzmarkt werde deshalb nicht ausgetrocknet.

Warnung vor restriktiver Regelung:

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther sagte: »Eine Legalisierung, die den Gesundheits- und Jugendschutz verbessert, kann nur gelingen, wenn sie nicht zu restriktiv ist, denn sonst beziehen die Konsumierenden ihr Cannabis weiter vom Schwarzmarkt.« Eine THC-Obergrenze, gestaffelte Altersgrenzen und eine Begrenzung des Eigenanbaus auf zwei Pflanzen könnten dazu führen, dass einige Konsumierenden weiter auf illegales Cannabis zurückgreifen würden. Das EU-Recht zu Cannabis sei rudimentär. »In vorauseilendem Gehorsam allein auf den Anbau in Deutschland zu setzen, kann dazu führen, dass der Bedarf nicht gedeckt werden kann.«

Auch der Linke-Politiker Ates Gürpinar warnte vor zu starren Vorgaben. »Es ist so, als würde man in Bayern nur Leichtbier erlauben. 2,5 Prozent bis 21 Jahre, darüber dann 3,5 Prozent Alkohol.« Der Deutsche Hanfverband warnte ebenso vor restriktiven Regeln. Sprecher Georg Wurth sagte dem Nachrichtenportal t-online: »Wir brauchen Regeln, die es für einen Konsumenten attraktiv machen, in einen Laden zu gehen und eben nicht den Schwarzmarkt zu besuchen.«

© dpa-infocom, dpa:221019-99-177120/10