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Rechtsruck: Meloni verspricht Italien »Würde und Stolz«

Regierungen kommen und gehen in Italien. Doch noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist das Land so stark nach rechts gekippt. Die Wahlsiegerin will die Italiener in den Vordergrund rücken.

Giorgia Meloni
Giorgia Meloni von den Fratelli d'Italia wird voraussichtlich die erste Ministerpräsidentin Italiens. Foto: Gregorio Borgia
Giorgia Meloni von den Fratelli d'Italia wird voraussichtlich die erste Ministerpräsidentin Italiens.
Foto: Gregorio Borgia

Italien driftet so weit nach rechts wie nie zuvor in der Nachkriegszeit. Nach einem klaren Wahlsieg können die rechtsradikalen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni die Regierung in Rom übernehmen.

Die nationalistische, EU-kritische und migrantenfeindliche Populistin sieht in dem Erfolg ein deutliches Mandat. Sie will die Italiener in Europa wieder in den Vordergrund rücken. »Jetzt wird es unsere Aufgabe sein, sie nicht zu enttäuschen und unser Möglichstes zu tun, um der Nation ihre Würde und ihren Stolz zurückzugeben«, schrieb Meloni am Montag auf Twitter. Auf weitere Stellungnahmen oder gar eine Pressekonferenz verzichtete sie am Tag nach ihrem Triumph.

Erstmals in der Geschichte des Landes könnte eine Frau in den Regierungspalast einziehen - es wird erwartet, dass sich Meloni mit der rechtspopulistischen Lega und der konservativen Forza Italia auf eine Koalition einigt. Die drei Parteien sind verbündet. Als starke Allianz profitierten sie vom italienischen Wahlrecht. Nach Auszählung nahezu aller Wahlkreise standen sie bei rund 44 Prozent der Stimmen; das reichte für die absolute Mehrheit im Parlament.

Politikverdrossenheit der Italiener

Das zerstrittene Mitte-Links-Lager konnte dem wenig entgegensetzen. Außerdem dürfte eine immer eklatantere Politikverdrossenheit der Italiener den Rechten geholfen haben. Nur 63,9 Prozent und damit weniger als zwei Drittel der Wahlberechtigten gingen überhaupt an die Urnen - das ist der mit Abstand schlechteste Wert der Geschichte.

Meloni sprach am frühen Morgen von einer »Nacht des Stolzes« und einer »Nacht der Erlösung«. Die Nationalistin, deren Fratelli eine Nachfolgepartei der von Faschisten und Mussolini-Getreuen gegründeten Bewegung MSI ist und die in ihrem Wappen noch heute eine an den Diktator erinnernde Flamme haben, sagte: »Wir müssen wieder stolz sein, Italiener zu sein.« Der Wahlsieg nach einem steilen Aufstieg in den vergangenen Jahren sei »nicht das Ziel, sondern der Anfang«.

Sie gilt außenpolitisch als prowestlich sowie als Befürworterin der Nato. Sie betont ihre Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine, was viele auch mit ihrer Verbundenheit zur polnischen Regierungspartei PiS erklären. Bekannt ist Meloni aber auch für ihre Kritik an den EU-Institutionen. In Brüssel will sie die Konditionen des Corona-Wiederaufbaufonds nachverhandeln. Zudem hat sie eine harte Hand gegen Migranten angekündigt, die mit Booten über das Mittelmeer kommen.

Meloni lehnt Genderthemen ab

Meloni ist gegen progressive Forderungen wie etwa das Recht auf Adoption durch gleichgeschlechtliche Partner. Genderthemen lehnt sie ebenso ab wie eine Frauenquote. Auch das vor allem im armen Süden genutzte Bürgergeld für Arbeitslose will sie stark einschränken. Außerdem versprach die Rechtsallianz Steuersenkungen.

Seit ihrer Jugend ist die heute 45-jährige Meloni politisch aktiv. In ihrer Biografie schreibt sie, sie führe den »Kampf«, den sie 1992 im Alter von 15 Jahren begonnen habe, heute weiter. Sie kann den Ton angeben in der Koalition, deren Kräfteverhältnisse sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert haben.

Für Matteo Salvini ist der Ausgang eine herbe Schlappe - auch wenn er am Tag nach der Wahl den Erfolg des Rechtsbündnisses betonte. Nach knapp 18 Prozent bei der Parlamentswahl 2018 und 34 Prozent bei den Europawahlen ein Jahr später rutschte die Lega auf knapp 9 Prozent ab. Die Wähler liefen scharenweise zu Meloni über. Salvini sieht dennoch keinen Grund, die Führung der Partei aufzugeben. Er sei entschlossener denn je, sagte er am Montag in Mailand.

Ganz anders läuft die Aufarbeitung bei den Sozialdemokraten (PD), die auf rund 26 Prozent kamen. Sie erkannten bereits in der Nacht den Sieg des Rechtslagers an und verkündeten, in die Opposition gehen zu wollen. PD-Chef Enrico Letta will sich von der Parteispitze zurückziehen. Es sei die Aufgabe einer neuen Generation, eine starke Opposition zu der »rechtesten Regierung in der italienischen Geschichte« zu formen, wie er sagte. »Der PD wird nicht zulassen, dass Italien aus dem Herz Europas verschwindet.«

Letta machte einen Schuldigen dafür aus, dass die Rechten nun am Zug sind: Den Ex-Ministerpräsidenten und Chef der Fünf-Sterne-Bewegung Giuseppe Conte. Die Fünf Sterne entzogen Ministerpräsident Mario Draghi im Sommer das Vertrauen, woraufhin dieser zurücktrat. 2018 noch Überflieger bei der Wahl und an allen drei Regierungen innerhalb der Legislaturperiode beteiligt, stürzten die Sterne nun auf rund 15 Prozent ab. Daran änderte auch eine linkere Ausrichtung nichts.

Wahlsiegerin, die kaum Regierungserfahrung hat

Stattdessen legen die Italiener die Geschicke des Landes in Melonis Hand, die kaum Regierungserfahrung vorweisen kann. Als Ministerpräsidentin dürfte sie ihrer Maxime »Gott, Vaterland, Familie« folgen – Liberale befürchten unter Meloni Rückschritte für Frauen. Die 45-Jährige weist dies zurück. Das gesetzliche Recht auf Abtreibung etwa wolle sie nicht abschaffen, obwohl das ihre Gegner ständig behaupteten, sagte sie zuletzt immer wieder.

Im Wahlprogramm der Rechts-Allianz stehen zudem Hilfen für Familien und auch für junge Mütter, die wieder in den Beruf zurückkehren wollen. Minderheiten können von einer rechten Regierung unter Meloni keinen zusätzlichen Schutz erwarten. Migranten aus Nordafrika will die Chefin der Fratelli gar nicht erst ins Land lassen. Sie sieht auch keine Not, Homosexuelle stärker vor Diskriminierung zu schützen, wie in ihrer Biografie deutlich wird. Auch sie habe Diskriminierung erfahren, schreibt sie darin, obwohl sie hetero sei. Erniedrigungen wiegen ihrer Ansicht nach immer schwer, egal, wen sie treffen.

© dpa-infocom, dpa:220925-99-896237/16