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Rassistischer Anschlag in Hanau: Mann tötet zehn Menschen

Ein 43-jähriger Deutscher schießt in zwei Shisha-Bars und einem Kiosk in Hanau um sich und tötet neun Menschen. Viele Opfer sollen ausländische Wurzeln haben. Die Ermittler vermuten rechten Terror. Der Sportschütze soll Hass auf Ausländer und Verschwörungstheorien im Netz verbreitet haben.

Einsatz in Hanau
SEK-Beamte in der Nähe eines Tatorts im Einsatz. Foto: Boris Roessler/dpa
SEK-Beamte in der Nähe eines Tatorts im Einsatz. Foto: Boris Roessler/dpa

HANAU. Bei einem mutmaßlich rechtsradikalen und rassistischen Anschlag hat ein 43-jähriger Deutscher im hessischen Hanau zehn Menschen und sich selbst erschossen. Der Generalbundesanwalt zog den Fall noch in der Nacht zu Donnerstag an sich und ermittelt wegen Terrorverdachts.

Der mutmaßliche Todesschütze Tobias R. kommt Behördenangaben zufolge aus Hanau. Bei der Gewalttat am späten Mittwochabend an mindestens vier verschiedenen Tatorten in Hanau seien neun Menschen gestorben, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) an diesem Donnerstag im Landtag in Wiesbaden. Der Sportschütze habe nach der Tat in der eigenen Wohnung erst seine Mutter und dann sich selbst erschossen.

Neun der Todesopfer hatten einen Migrationshintergrund. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag zudem aus Sicherheitskreisen erfuhr, haben vier der fünf Verletzten ausländische Wurzeln.

Hanau
Ein Polizist hilft einer älteren Frau in der Nähe eines Tatortes am Heumarkt, eine Kerze anzuzünden. Foto: Boris Roessler/dpa
Ein Polizist hilft einer älteren Frau in der Nähe eines Tatortes am Heumarkt, eine Kerze anzuzünden. Foto: Boris Roessler/dpa

Der Generalbundesanwalt stufe das Verbrechen als »Verdacht einer terroristischen Gewalttat ein«, sagte Beuth. Der mutmaßliche Täter sei nach ersten Erkenntnissen Sportschütze gewesen, der die Waffen legal besessen habe.

Hessens Innenminister erläuterte, der Todesschütze habe am späten Mittwochabend in zwei Shisha-Bars und in einem Kiosk das Feuer eröffnet. Auch ein Auto sei beschossen worden. Beuth sagte, die Polizei werte derzeit die Homepage des 43-jährigen Hanauers aus. »Erste Auswerteergebnisse der Homepage des vermeintlichen Täters deuten auf ein fremdenfeindliches Motiv hin«, sagte der Innenminister.

Nach einer Telefonschalte der Innenminister von Bund und Ländern sagte der bayerische Ressortchef Joachim Herrmann: »Aktueller Ermittlungsstand ist, dass es sich um einen 43-jährigen Deutschen handelt, der gestern Abend eine Reihe überwiegend aus dem Ausland stammender Menschen erschossen hat. Insofern müssen wir auch aufgrund aufgefundener Materialien davon ausgehen, dass es sich um einen rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Hintergrund handelt.«

Es soll nun geprüft werden, ob die anstehenden Faschingsumzüge in Deutschland und Treffpunkte von Migranten verstärkt geschützt werden sollen, sagte Herrmann. Da seien sich die Innenminister von Bund und Ländern einig gewesen. »Denn wir wissen aus der Vergangenheit, dass grundsätzlich solche Taten auch Nachahmertaten haben können.« Herrmann berichtete zudem, zeitweilig habe der 43-Jährige seinen Wohnsitz wohl auch in Bayern gehabt.

Schüsse in Hanau
Rettungskräfte sind im Einsatz: Durch Schüsse sind im hessischen Hanau mehrere Menschen getötet worden. Foto: Heiko Hahnenstein/Wiesbaden112/dpa
Rettungskräfte sind im Einsatz: Durch Schüsse sind im hessischen Hanau mehrere Menschen getötet worden. Foto: Heiko Hahnenstein/Wiesbaden112/dpa

Hessens Innenminister Beuth sagte, der Mann habe wohl allein gehandelt. »Bislang liegen keine Hinweise auf weitere Täter vor.« Beuth verurteilte die Tat: »Es ist ein Anschlag auf unsere freie und friedliche Gesellschaft.« Der mutmaßliche Täter sei zuvor nicht im Visier der Ermittler gewesen. Er sei weder als »fremdenfeindlich« bekannt gewesen noch polizeilich in Erscheinung getreten.

Nach der Tat sei der mutmaßliche Täter tot zuhause aufgefunden worden. Die Ermittler gehen demnach davon aus, dass der Mann seine 72-jährige Mutter und sich selbst erschossen hat. »Beide wiesen Schussverletzungen auf, die Tatwaffe wurde bei dem mutmaßlichen Täter gefunden«, sagte Beuth.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte, die Tat schockiere, mache sprachlos und »unendlich traurig«. Er fügte hinzu: »Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir Einiges wissen, vieles noch nicht«, erklärte Bouffier. Er rief die Bürger auf, sich nicht an diesen Spekulationen zu beteiligen. Es sei noch zu früh für eine Beurteilung der Lage.

Er habe am Morgen bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefoniert, um sie über die vorliegenden Erkenntnisse zu informieren, sagte Bouffier. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) und er selbst werden im Laufe des Tages nach Hanau fahren.

Einsatz in Hanau
SEK-Beamte in der Nähe eines Tatorts im Einsatz. Foto: Boris Roessler/dpa
SEK-Beamte in der Nähe eines Tatorts im Einsatz. Foto: Boris Roessler/dpa

Wenige Tage vor dem Verbrechen hatte der mutmaßliche Täter nach Informationen aus Sicherheitskreisen ein Video bei Youtube veröffentlicht. In diesem Video spricht der Mann in fließendem Englisch von einer »persönlichen Botschaft an alle Amerikaner«. Der Clip, der am Donnerstagmorgen weiter im Internet zu sehen war, wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen.

Darin sagt der Mann, in den USA existierten unterirdische Militäreinrichtungen, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde auch dem Teufel gehuldigt. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände »jetzt kämpfen«. Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten. Er behauptet auch, Deutschland werde von einem Geheimdienst gesteuert. Außerdem äußert er sich negativ über Migranten aus arabischen Ländern und der Türkei.

Die ersten Schüsse fielen den Ermittlern zufolge am Mittwochabend gegen 22.00 Uhr. Am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt blicken Passanten später in der Nacht immer wieder fassungslos auf die Szenerie am abgesperrten Tatort. Nicht weit entfernt in einer Seitenstraße liegen Patronenhülsen auf dem Fußweg. Nur rund zwei Kilometer davon entfernt im Stadtteil Kesselstadt befindet sich ein weiterer Tatort. Dort wurden ebenfalls Schüsse abgefeuert.

Im Einsatz
Die Polizei ist nach der Schießerei mit einem Großaufgebot im Einsatz. Foto: Boris Rössler/dpa
Die Polizei ist nach der Schießerei mit einem Großaufgebot im Einsatz. Foto: Boris Rössler/dpa

Einer der Tatorte ist eine Shisha-Bar am Heumarkt, einer Straße, die etwas am Rande der Innenstadt von Hanau mit seinen rund 100.000 Einwohnern liegt. Es ist eine Gegend mit Spielhallen, Wettlokalen und Döner-Imbissbuden. Ein anderer Tatort ist fast in Laufnähe, mit dem Auto sind es bis dahin nur etwa fünf Minuten. Der Kurt-Schumacher-Platz liegt in einem Wohnviertel. Dort befindet sich im Erdgeschoss eines Wohnblocks eine Art Kiosk, mit der Aufschrift »24/7 Kiosk« auf der großen Glasscheibe, auf einem Reklame-Leuchtschild steht »Arena Bar & Café«. Der Blick ins Innere ist versperrt, die Scheiben sind teils halbhoch mit orangefarbener Folie beklebt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte wegen des Gewaltverbrechens einen geplanten Besuch in Sachsen-Anhalt ab. Sie werde an diesem Donnerstag nicht wie geplant zum Amtswechsel an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina nach Halle fahren, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert im Kurznachrichtendienst Twitter mit. »Die Bundeskanzlerin lässt sich fortlaufend über den Stand der Ermittlungen in Hanau unterrichten.«

Zuvor hatte er getwittert: »Die Gedanken sind heute Morgen bei den Menschen in Hanau, in deren Mitte ein entsetzliches Verbrechen begangen wurde.« Er fügte hinzu: »Tiefe Anteilnahme gilt den betroffenen Familien, die um ihre Toten trauern.« Seibert äußerte die Hoffnung, dass die Verletzten bald wieder gesund werden.

Mit Messer, Pistolen und Bomben setzen manche Rechtsextreme ihre Gesinnung in die Tat um - wie in Hanau haben viele ihrer Opfer einen Migrationshintergrund.

Projektil
Ein Projektil liegt in unmittelbarer Nähe des Tatorts am Heumarkt. Foto: Andreas Arnold/dpa
Ein Projektil liegt in unmittelbarer Nähe des Tatorts am Heumarkt. Foto: Andreas Arnold/dpa

HALLE, Oktober 2019: Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur will ein schwerbewaffneter Deutscher eine Synagoge stürmen. Eine schwere Holztür verhindert ein Blutbad. Vor der Festnahme erschießt der 27-Jährige zwei Unbeteiligte. Er gesteht rechtsextreme und antisemitische Motive.

MÜNCHEN, Juli 2016: Am Olympia-Einkaufszentrum in München erschießt ein 18-Jähriger neun Menschen und sich selbst. Die meisten Opfer sind Jugendliche mit südosteuropäischen Wurzeln. Motive des Täters mit deutscher und iranischer Staatsbürgerschaft: Mobbing, psychische Probleme und rechtsradikale Ansichten. Die Waffe hatte er sich im sogenannten Darknet besorgt.

EISENACH, November 2011: Die Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) fliegt nach einem Banküberfall auf. Beate Zschäpe und ihren Freunden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos werden zehn Morde zwischen 2000 und 2007 und weitere Verbrechen zugerechnet. Die meisten Todesopfer waren Gewerbetreibende mit türkischen oder griechischen Wurzeln. Mundlos und Böhnhardt erschießen sich, Zschäpe wird zu lebenslanger Haft verurteilt.

DÜSSELDORF, Juli 2000: Bei einem Attentat auf Zuwanderer aus Osteuropa werden zehn Menschen verletzt, ein ungeborenes Kind stirbt. Der Sprengsatz war an der S-Bahn-Station Wehrhahn befestigt. Das Landgericht spricht einen Verdächtigen mit Kontakten in die rechte Szene wegen »dürftiger Beweislage« Mitte 2018 frei. Die Tat ist weiter ungeklärt.

SOLINGEN, Mai 1993: Bei einem Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Großfamilie werden fünf Frauen und Mädchen getötet, 14 Menschen verletzt. Die vier Täter aus der Solinger Neonaziszene werden wegen Mordes verurteilt.

MÖLLN, November 1992: Neonazis setzen ein von Türken bewohntes Haus in der schleswig-holsteinischen Stadt in Flammen. Drei Frauen sterben. Ein Täter muss lebenslänglich in Haft, sein jugendlicher Komplize zehn Jahre.

MÜNCHEN, Februar 1970: Sieben Menschen sterben bei einem nächtlichen Brandanschlag auf das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde. Brennendes Benzin hatte den Opfern den Fluchtweg versperrt. Wer für das Attentat auf die jüdischen Bewohner verantwortlich ist, wird nie geklärt. (dpa)