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Premierministerin Truss und die Tories am Abgrund

Auf dem Parteitag ihrer Konservativen wollte die neue britische Premierministerin Liz Truss die Reihen einen und mit Rückenwind so richtig ins Amt starten. Doch das ist ziemlich schief gegangen.

Tory-Parteitag in Birmingham
»Wir sind die einzige Partei, die einen klaren Plan hat«, behauptet die britische Premierministerin Truss beim Parteitag der Konservativen. Foto: Jacob King
»Wir sind die einzige Partei, die einen klaren Plan hat«, behauptet die britische Premierministerin Truss beim Parteitag der Konservativen.
Foto: Jacob King

Der Song, den sich Liz Truss für ihren großen Auftritt ausgesucht hat, wirkt wie eine Karikatur der Stimmung in ihrer Konservativen Partei. »Nothin' can stop me« - nichts kann mich aufhalten - tönt aus den Boxen, als die britische Premierministerin zum Abschluss des Parteitags in Birmingham auf die Bühne federt. Doch tatsächlich scheint es, als sei Truss nach nur vier Wochen im Amt bereits gestoppt worden. Von eigenen Fehlern und ihrer Partei.

Für Beobachter, aber auch viele Mitglieder wirkt der Parteitag, der erste wichtige Auftritt für Truss, wie eine Untergangsparty. An die Titanic, auf der noch getanzt wurde, fühlt sich ein Teilnehmer angesichts sich mit Champagner betrinkender Tories erinnert. Ein anderer sagt: »Die Partei implodiert vor unseren Augen.« Der »Telegraph«-Reporter Christopher Hope urteilt: »Dieser Parteitag wirkt wie ein Zirkus ohne Zirkusdirektor. Die Löwen haben bereits einen Akrobaten gefressen - und nagen an einem weiteren.«

Das Problem sitzt offenkundig an der Spitze: Truss hat einen Fehlstart hingelegt. Nach den Skandaljahren ihres Vorgängers Boris Johnson hatte die 47-Jährige versprochen, das Vertrauen in die Regierung wieder herzustellen. So prangt es auch auf Tassen und T-Shirts: »In Liz We Truss« - »Wir vertrauen Liz Truss«, soll das Wortspiel bedeuten. Die Wahrheit sieht anders aus. »Sie hat Vertrauen verloren, weil sie das eine sagt und dann etwas anderes passiert«, urteilt Tim Durrant von der Denkfabrik Institute of Government.

Grabenkämpfe werden offensichtlich

In einem Interview musste sich Truss fragen lassen, ob ihre Aussagen bis zur Ausstrahlung am nächsten Morgen noch Bestand haben würden. Denn am Vortag hatte Truss in vorab aufgezeichneten Interviews noch die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes verteidigt. Als die Gespräche am Folgetag über die Sender liefen, hatte die Regierung bereits eine komplette Kehrtwende hingelegt. Abgeordnete, die der Regierungschefin eigentlich zugetan sind, sind nun verunsichert, ihre Gegner wittern Morgenluft. Ex-Minister Grant Shapps, den Truss abgesägt hatte, setzte ihr eine Frist von zehn Tagen, die Dinge zum Laufen zu bringen. Andere haben einfach nur Mitleid.

Mit einem Parteitag, wie man ihn aus Deutschland kennt, wo über Wahlprogramme oder Parteiämter abgestimmt wird, hat die Veranstaltung in Birmingham wenig zu tun. Der englische Begriff »Conference« trifft es besser: In kleineren Räumen inmitten des unübersichtlichen Konferenzzentrums debattieren nicht Minister, einfache Abgeordnete, Lobbyisten und externe Kommentatoren verschiedene Themen. An Ständen präsentieren sich einzelne Parteigruppen wie die Konservativen Freunde von Somaliland, aber auch Lobbygruppen und Unternehmen. Das hat Messecharakter. Aber es bietet Platz für viele Gesprächsrunden, in denen der Unmut fast stündlich steigt - auf allen Seiten.

»Ich bin enttäuscht, dass Mitglieder unserer Partei einen Putsch inszeniert haben und die Premierministerin in unprofessioneller Weise untergraben haben«, schimpft etwa Innenministerin Suella Braverman. Der offene Riss in der Partei hat bereits das Kabinett erreicht, manche sprechen bereits von einem »offenen Krieg«. Penny Mordaunt, die als Ministerin für Parlamentsfragen eine zentrale Rolle in der Regierung einnimmt, machte deutlich, dass die Sozialleistungen gemäß der starken Inflation erhöht werden sollten. Truss strebt eine geringere Steigerung an und will - auf Kosten ärmerer Menschen, wie Kritiker ihr vorwerfen - Milliarden sparen. Die offenen Widerworte von Mordaunt seien »völlig erstaunlich«, sagt Experte Durrant.

Kommen Truss' Reformen durchs Unterhaus?

Schon zu Beginn ihrer Amtszeit spürt Truss schmerzhaft, wie der Wind sich dreht. Die konservative Zeitung »Daily Mail«, die sich im parteiinternen Wahlkampf hinter sie gestellt hatte, forderte die 47-Jährige auf ihrer Titelseite auf: »Bekommen Sie das in den Griff!« Die Johnson-Vertraute Nadine Dorries, die sich ursprünglich ebenfalls für Truss ausgesprochen hatte, kritisierte, die Premierministerin habe sich vom eigentlichen Regierungsprogramm entfernt. Falls Truss dafür Rückendeckung wolle, solle sie Neuwahlen ausrufen, so Dorries - wissend, dass Umfragen historisch negative Werte für die 47-Jährige zeigen und den Konservativen eine beispiellose Niederlage droht.

Experte Durrant betont, Truss habe nur noch auf dem Papier die notwendige Mehrheit, ihre Vorhaben durchs Parlament zu bringen. Bei den fraktionsinternen Abstimmungen über die Johnson-Nachfolge erhielt Truss' Konkurrent Rishi Sunak mehr Stimmen, und auch bei der abschließenden Mitgliederabstimmung war ihr Vorsprung eher knapp. Schaden könnte ihr gerade deshalb auch, dass sie keine Widersacher in ihr Kabinett berief. »Es gibt eine große interne Opposition gegen die Regierung«, sagt Durrant.

Nichts kann Truss aufhalten? Schnell wiesen Spötter darauf hin, dass es in dem einpeitschenden Song »Move It All Up« der britischen Band M People, aus dem die Zeile stammt, auch heißt: »You're movin' on out« - »Du haust jetzt ab«. Ausgerechnet der Sohn von Sängerin Heather Small ließ sich die Pointe nicht entgehen. »Diese müde und abgehobene Regierung ist tatsächlich auf dem Weg nach draußen«, twitterte James Small-Edwards. Er ist Gemeinderat in London - für die Oppositionspartei Labour.

Aussagen David Frost

Tweet Nadine Dorries

Tweet James Small-Edwards

Tweet Konservative Partei

Yougov-Umfrage

Rede Liz Truss

© dpa-infocom, dpa:221005-99-10293/4