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Pflegereform bringt Entlastungen und teils höhere Beiträge

Die Pflege wird schon seit Jahren teurer und teurer, was auch Millionen Familien belastet. Die Regierung will jetzt an mehreren Stellen gegensteuern - und parallel auch bei Medikamenten-Engpässen.

Pflegeheim
Anfang 2022 eingeführte Entlastungszuschläge für Pflegeheimbwohnerinnen und -bewohner sollen zum 1. Januar 2024 erhöht werden. dadurch soll der Eigenanteil für die reine Pflege gedrückt werden. Foto: Christoph Schmidt
Anfang 2022 eingeführte Entlastungszuschläge für Pflegeheimbwohnerinnen und -bewohner sollen zum 1. Januar 2024 erhöht werden. dadurch soll der Eigenanteil für die reine Pflege gedrückt werden.
Foto: Christoph Schmidt

Wegen immer weiterer Kostensprünge für die Pflege sollen Entlastungen für Pflegebedürftige kommen - aber auch höhere Beiträge außer für Familien mit mehreren jüngeren Kindern. Das Bundeskabinett brachte am Mittwoch Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Weg, die die Finanzen der Pflegeversicherung vorerst bis 2025 stabilisieren sollen.

Der Pflegebeitrag soll dafür zum 1. Juli um 0,35 Prozentpunkte angehoben werden und für Menschen ohne Kinder noch etwas stärker. Pflegebedürftige zu Hause und im Heim sollen 2024 mehr Geld bekommen. Das Kabinett billigte außerdem einen Gesetzentwurf, der Arzneimittel-Engpässe wirksamer vermeiden soll.

Lauterbach sagte zur Pflegereform, die Pflegebedürftigen hätten volle Solidarität verdient. »Da die Kosten von guter Pflege ständig steigen, darf die Solidargemeinschaft nicht wegschauen und diese höheren Kosten den zu Pflegenden und ihren Angehörigen überlassen.« Gleichzeitig gelte es, die Finanzierung der Pflege zu stabilisieren. Von Patientenschützern, Pflegekassen, der Opposition und auch aus der Ampel-Koalition selbst kam Kritik.

Ein Überblick über Kernpunkte:

  • Pflege zu Hause: Das zuletzt 2017 erhöhte Pflegegeld soll laut Entwurf zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen, genauso wie die Beträge für Sachleistungen. Pflegegeld gibt es als Unterstützung, wenn Pflegebedürftige nicht in Einrichtungen leben. Sie können es frei nutzen, etwa für Betreuung. Je nach Pflegegrad sind es zwischen 316 und 901 Euro im Monat. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz monierte, die mehr als vier Millionen daheim versorgten Menschen würden weiter im Stich gelassen. Ein Pflegegeld-Plus von nur fünf Prozent stehe »nicht ansatzweise im Verhältnis zur Kostenexplosion« in den vergangenen fünf Jahren, sagte Vorstand Eugen Brysch.
  • Pflege im Heim: Anfang 2022 eingeführte Entlastungszuschläge für Bewohnerinnen und Bewohner sollen zum 1. Januar 2024 erhöht werden. Den Eigenanteil für die reine Pflege soll das im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher 5 Prozent drücken, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Im Heim kommen dann auch noch Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu.
  • Beiträge I: Der Pflegebeitrag liegt aktuell bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, für Menschen ohne Kinder bei 3,4 Prozent. Zum 1. Juli soll er erhöht werden, und zwar in Kombination mit Änderungen wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Demnach muss mehr danach unterschieden werden, ob man Kinder hat oder nicht. Alles in allem soll der Beitrag für Kinderlose damit auf 4 Prozent steigen und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Der darin enthaltene Arbeitgeberanteil soll von nun 1,525 Prozent auf 1,7 Prozent herauf. Lauterbach sagte, damit komme man durch diese Legislaturperiode. Es könne so jedoch nicht weitergehen. Daher soll sich eine Kommission mit Überlegungen für ein längerfristiges Finanzkonzept befassen.
  • Beiträge II: Konkret soll der Pflegebeitrag für größere Familien für die Dauer der Erziehungsphase bis zum 25. Geburtstag des jeweiligen Kindes deutlicher gesenkt werden - und zwar schrittweise je Kind. Ab zwei Kindern müsste damit - bezogen auf den Arbeitnehmeranteil von derzeit 1,525 Prozent - weniger gezahlt werden als heute. Bei zwei Kindern soll der Arbeitnehmeranteil künftig 1,45 Prozent betragen, bei drei Kindern 1,2 Prozent, bei vier Kindern 0,95 Prozent und bei fünf und mehr Kindern 0,7 Prozent. Ist ein Kind älter als 25 Jahre, entfällt »sein« Abschlag. Sind alle Kinder aus der Erziehungszeit, gilt dauerhaft der Ein-Kind-Beitrag, auch wenn man in Rente ist.
  • Die Reaktionen: Die mitregierenden Grünen meldeten für die Beratungen im Bundestag prompt Nachbesserungsbedarf an. Man müsse feststellen, dass der Finanzminister verhindert habe, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in notwendiger Höhe entlastet werden, kritisierten die Fachpolitikerinnen Maria Klein-Schmeink und Kordula Schulz-Asche. Im Koalitionsvertrag vereinbarte Steuermittel für gesellschaftliche Aufgaben stünden nicht bereit. Unions-Experte Tino Sorge (CDU) warnte vor einem Finanzkollaps. Seit Monaten blockierten sich Lauterbach und FDP-Finanzminister Christian Lindner. Die Pflegekassen beklagten, mit dem vorliegenden Entwurf springe die Regierung deutlich zu kurz.
  • Die Lieferengpässe: Um Ausfälle wichtiger Arzneimittel zu vermeiden, will Lauterbach bestimmte Preisregeln lockern. Das soll Lieferungen nach Deutschland attraktiver machen. Bei Kindermedikamenten sollen Hersteller den Preis um bis zu 50 Prozent heraufsetzen dürfen. Zudem sollen europäische Hersteller - angefangen bei Antibiotika - stärker zum Zug kommen. Geplant sind auch Vorgaben zu mehrmonatigen Vorräten als Sicherheitspuffer. Mit anderen Maßnahmen dürfte das Gesetz die gesetzlichen Kassen einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag mehr kosten, wie der Minister schätzte. Die Linke kritisierte, er knicke vor der Pharma-Lobby ein. Engpässe gab es zuletzt im Winter etwa bei patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder.

© dpa-infocom, dpa:230405-99-223398/4