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»Partygate«-Bericht liegt vor - doch Johnson bleibt unbeirrt

Auf 37 Seiten liegt nun das Ausmaß des »Partygate«-Skandals offen. Premier Boris Johnson kündigt an, Verantwortung zu übernehmen. Nur anders, als es die Opposition verlangt.

Boris Johnson
Auf 37 Seiten eines Untersuchungsberichts kann Premierminister Boris Johnson nun die »Partygate«-Vorwürfe gegen ihn und seine Regierung nachlesen. Foto: Matt Dunham
Auf 37 Seiten eines Untersuchungsberichts kann Premierminister Boris Johnson nun die »Partygate«-Vorwürfe gegen ihn und seine Regierung nachlesen.
Foto: Matt Dunham

Feiern mit Alkohol bis in den Morgen, Rotweinflecken an der Wand - und Bilder des britischen Premierministers, der Partygästen zuprostet.

Der mit Spannung erwartete Untersuchungsbericht zur »Partygate«-Affäre hat der politischen Führung um Regierungschef Boris Johnson schweres Fehlverhalten vorgehalten und deutliche Verstöße gegen die damals geltenden Corona-Regeln offengelegt. Die interne Ermittlerin Sue Gray zitierte Mails und Chatnachrichten, die belegen, dass den Mitarbeitern die Regelbrüche bewusst waren. Johnson betonte im Parlament, er wolle die volle Verantwortung übernehmen - einen Rücktritt schloss er aber aus.

Im Parlament am Mittwoch zeigte sich Johnson unwissend und unschuldig. Ja, er habe kurz bei Treffen vorbeigeschaut, um seinen hart arbeitenden Mitarbeitern Dank und Anerkennung auszusprechen. »Einige dieser Zusammenkünfte dauerten länger als notwendig und waren eindeutig ein Regelbruch«, sagte der Premier. Doch das habe er gar nicht wissen können, denn er sei schon wieder weg gewesen - oder manchmal auch gar nicht im Haus.

Von den Verstößen sei er »überrascht und enttäuscht« gewesen. »Vieles von dem, was ich im Bericht gelesen habe, war für mich neu«, sagte Johnson später vor Journalisten. Vor diesem Hintergrund nehme er seine Aussage zurück, die er vor Monaten im Parlament gemacht hatte, es seien stets alle Regeln befolgt worden. Gelogen aber habe er nie.

Die Vorwürfe, die Gray auf 37 Seiten erhebt, wiegen schwer. Da ist die Rede von schweren Alkoholexzessen, eine Person musste sich übergeben, zwei andere hatten »eine kleine Auseinandersetzung«. »Man kann die Menge des Alkohols fast riechen, die bei diesen Partys in der Regierung getrunken wurden, als Partys verboten waren«, kommentierte BBC-Korrespondent Chris Mason. Demnach muss den Verantwortlichen klar gewesen sein, dass es sich nicht um zufällig aus dem Ruder gelaufene Arbeitssitzungen handelte. In E-Mails, die Gray veröffentlichte, planten Beamte die Veranstaltungen. Johnsons damaliger Büroleiter Martin Reynolds resümierte in einer Mail: »Wir sind damit offenbar davongekommen.«

Der Premier persönlich schenkt ein

Die BBC berichtete kurz vor Veröffentlichung des Gray-Berichts unter Berufung auf Augenzeugen, der Premier selbst habe Feiernden Alkohol nachgeschenkt. Regelmäßig sei zu »Wine-time Fridays« geladen worden. Manchmal seien Räume so voll gewesen, dass sich einige bei anderen auf den Schoß setzen mussten. Zu einer Abschiedsfeier habe die damalige Chefin der Ethik-Abteilung eine Karaoke-Anlage mitgebracht.

Für Ermittlerin Gray steht fest, wer die Schuld an diesem Verhalten trägt - die politische Führung sowie die Chefs des Öffentlichen Diensts, des sogenannten Civil Service. »An den Veranstaltungen, die ich untersucht habe, nahmen Führungsfiguren der Regierung teil«, schrieb Gray. »Viele dieser Events hätten nicht zugelassen werden dürfen.« Mitarbeiter seien davon ausgegangen, dass ihre Teilnahme erlaubt sei, da auch führende Politiker anwesend gewesen seien.

Auch wenn Johnson nicht namentlich als Schuldiger genannt wurde: Für die Opposition ist er das Gesicht der Affäre, schließlich passierten die Ausschweifungen in seinem Amtssitz, während die Menschen im Land weder Verwandte besuchen noch sich von Sterbenden verabschieden konnten. »Der Bericht legt die Fäulnis offen, die sich unter diesem Premierminister in der Downing Street Nummer 10 ausgebreitet hat«, sagte Labour-Chef Keir Starmer. Wenn Johnson angesichts dieses »Katalogs der Kriminalität« nicht gehe, müsse seine Partei ihn hinauswerfen, forderte der Oppositionsführer. Ian Blackford, Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei (SNP), rief: »Er hat sich nur aus einem Grund entschuldigt: Weil er ertappt wurde.«

Johnson setzt auf »Carry on«

Das sehen auch die meisten Briten so: In einer Yougov-Umfrage fordern 59 Prozent Johnsons Rücktritt. Doch der Premier zieht partout keine persönlichen Konsequenzen und verweist darauf, dass die wichtigsten Personen in Downing Street bereits ausgetauscht worden seien. Auch der oberste Regierungsbeamte Simon Case, den viele für die tolerierte Partykultur verantwortlich machen, bleibt im Amt.

Vielmehr wurde am Mittwoch offensichtlich, dass Johnson mit »Partygate« endgültig abschließen will. Die Vorwürfe spielte er herunter. Es handele sich um einige wenige Verstöße in mehr als 600 Tagen der Pandemie, in einem fünfstöckigen Haus mit mehr als 5300 Quadratmetern Fläche, in dem Hunderte Menschen arbeiten, betonte der Premier. Unterstützung fand er bei Mitgliedern seiner Konservativen Partei. Der frühere Bauminister Robert Jenrick forderte, »eine neue Seite aufzuschlagen«.

Auch Johnson betonte, er wolle nun nach vorne blicken, es gebe genügend größere Probleme, die er angehen wolle. Dass er als erster amtierender Premier wegen der Teilnahme an einer Lockdown-Party von der Polizei eine Strafe erhielt, dass die Polizei mehr als 120 Strafbescheide an Dutzende seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilte, dass Downing Street damit »die am schwersten bestrafte Straße des Landes« wurde - damit hielt sich der 57-Jährige nicht lange auf. Als einziges Tory-Mitglied forderte Tobias Ellwood, bereits als Johnson-Kritiker bekannt, den Premier noch im Sitzungssaal zum Rücktritt auf.

Spannend wird nun sein, wie die breite Masse der Hinterbänkler reagiert. Sprechen 54 der 359 Tory-Abgeordneten gegen Johnson aus, kommt es zu einem parteiinternen Misstrauensvotum. Doch zunächst wirkte ein solcher Schritt ferner denn je.

»Partygate«-Bericht

BBC-Bericht

© dpa-infocom, dpa:220525-99-426144/5