MINSK. Sechs Tage nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) wollen heute wieder Tausende Menschen gegen Gewalt und Willkür unter Präsident Alexander Lukaschenko auf die Straße gehen.
Seine Herausforderin Swetlana Tichanowskaja hatte am Freitag aus ihrem Exil im EU-Land Litauen zu neuen friedlichen Massenaktionen aufgerufen. »Lasst uns zusammen unsere Stimmen verteidigen«, sagte sie in einer Videobotschaft. Viele Menschen sind auch wegen des brutalen Vorgehens der Polizei gegen friedliche Demonstranten wütend. Die EU hatte deshalb Sanktionen gegen Lukaschenkos Unterstützer auf den Weg gebracht.
Wer genau mit Strafmaßnahmen belegt werden soll, das soll erst noch entschieden werden. Unklar war zudem, ob Lukaschenko selbst mit Sanktionen rechnen muss. Er gilt als »letzter Diktator Europas«. Die Entscheidung über den betroffenen Personenkreis werde der Rat treffen, sagte Deutschlands Außenminister Heiko Maas. Den Personen müssten »nachweisbar Verfehlungen zur Last gelegt werden können«.
Maria Kolesnikowa vom Wahlkampfstab Tichanowskajas warnte vor Strafmaßnahmen. Die Zeit dafür sei noch nicht reif, sagte sie der »Welt am Sonntag«. »Wirtschaftssanktionen würden sowieso vor allem die einfachen Menschen in Belarus treffen, das hat die Vergangenheit gezeigt.« Ihrer Ansicht nach werden Sanktionen gegen Politiker und Regierungsvertreter die Chancen der EU, aber auch die der Opposition in Belarus auf einen Dialog mit den Behörden verschlechtern.
Lukaschenko hatte sich bei der Wahl am Sonntag zum sechsten Mal in Folge als Wahlsieger ausrufen lassen. Daran gibt es aber erhebliche Zweifel. Ein großer Teil der Bevölkerung hält Tichanowskaja für die eigentliche Gewinnerin. Ihre Unterstützer gehen von einem Sieg mit 60 bis 70 Prozent aus und fordern eine Neuwahl. Viele Menschen in dem Land zwischen Russland und Polen wollen Lukaschenkos Rücktritt.
Die Staatspräsidenten von Litauen und Estland betonten am Abend, das Wahlergebnis könne nicht anerkannt werden. Die von Fälschungsvorwürfen überschattete Abstimmung sei nicht frei und demokratisch gewesen, sagten Gitanas Nauseda und Kersti Kaljulaid nach einem Treffen in Vilnius. Es reiche nicht aus, nur zur Situation vor der Wahl zurückzukehren. Es müssten freie und demokratische Wahlen abgehalten werden.
Doch Lukaschenko hat noch seinen Sicherheitsapparat auf seiner Seite. Am Abend machte er erneut das Ausland als Drahtzieher für die Proteste verantwortlich. Namentlich nannte er nur den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, der auf seiner Internetseite regelmäßig über die Ereignisse im Nachbarland berichtet. Dessen Leute seien nach Belarus gekommen, behauptete der 65-Jährige.
In der Ex-Sowjetrepublik kommt es mittlerweile jeden Tag zu Protesten, gegen die die Polizei anfangs brutal vorging. Fast 7000 Menschen wurden festgenommen. Mehr als 2000 von ihnen kamen am Freitag frei. Einige berichteten von unmenschliche Bedingungen in den Gefängnissen. Zuletzt hielten sich die Uniformierten aber zurück.
Der Präsident ordnete am Abend der Staatsagentur Belta zufolge an, dass Polizisten auf dem Boden liegende Demonstranten nicht verprügeln dürften. Die Uniformierten hätten es nicht nötig, auf ihre Mitbürger einzuschlagen, behauptete er. Er bezeichnete die Demonstranten erneut als Ex-Kriminelle.
UN-Generalsekretär António Guterres rief die Bürger von Belarus indes zum friedlichen Dialog über die Wahl auf. Der Generalsekretär betonte, wie wichtig es sei, dass alle Belarussen ihre politischen und Bürgerrechte ausüben dürften. »Dazu gehört es, ihre Ansichten friedlich und im Rahmen des Gesetzes auszudrücken«, sagte sein Sprecher Stéphane Dujarric am Freitagabend (Ortszeit) in New York. Die Behörden müssten in ihrer Reaktion auf die Demonstrationen Zurückhaltung üben. »Vorwürfe der Folter oder anderer Misshandlungen von Menschen in der Haft müssen gründlich untersucht werden.«
Auch am Freitagabend demonstrierten wieder Tausende Menschen in vielen Städten des Landes. Sie bildeten Menschenketten und sangen friedlich. Auf Videos in sozialen Netzwerken war zu hören, wie Autos hupten. Allerdings gab es wieder Berichte über Störungen im Internet. Die Behörden setzen dies als Taktik ein, um Proteste kleinzuhalten.
Indes wächst in vielen Staatsbetrieben der Unmut über das Vorgehen des Staatsapparats. Mitarbeiter legten am Freitag die Arbeit nieder. Ein Ausstand über längere Zeit könnte dem wirtschaftlich angeschlagenen Land nach Ansicht von Experten gefährlich werden. (dpa)