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Netanjahu vor Extrembündnis: Sorge um Demokratie in Israel

Israels dienstältester Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht vor der Rückkehr an die Macht. Wegen extremer Partner gibt es Ängste um die Zukunft der israelischen Demokratie.

Benjamin Netanjahu
Benjamin Netanjahu, damaliger Ministerpräsident von Israel, nimmt an der ersten Kabinettssitzung der neuen Regierung in der Knesset teil. Foto: Abir Sultan
Benjamin Netanjahu, damaliger Ministerpräsident von Israel, nimmt an der ersten Kabinettssitzung der neuen Regierung in der Knesset teil.
Foto: Abir Sultan

Israel bekommt wahrscheinlich die am weitesten rechts stehende Regierung seiner Geschichte. Der designierte Wieder-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist sich mit der rechtsextremen Religiös-Zionistischen Partei und zwei tiefreligiösen Parteien im Grundsatz schon einig.

Nun gab es von Präsident Izchak Herzog noch mal zehn Tage dazu: So lange hat der Vorsitzende der rechtskonservativen Likud-Partei jetzt Zeit, um sein Extrembündnis zu schmieden. Es herrscht Sorge, dass die neue Regierung die israelische Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert.

Das Lager um Netanjahu, der mit seinen 73 Jahren jetzt schon so lange Ministerpräsident war wie in Israel nie jemand zuvor, hatte sich bei der vorgezogenen Neuwahl am 1. November im Parlament 64 von 120 Sitzen gesichert. Damit kann »Bibi«, wie sie ihn hier nennen, nach anderthalb Jahren auf den Oppositionsbänken der Knesset zurück an die Macht.

Sorge vor ultrarechter Einflussnahme

Politik-Professor Jonathan Rynhold rechnet damit, dass seine neue Regierung fundamentale Veränderungen in staatlichen Institutionen vornehmen wird - etwa die Art, wie Richter ernannt werden. Zudem würden wohl Gesetze erlassen, »die es Politikern erlauben, Ämter anzunehmen, obwohl sie korrupt sind«. Rynhold wörtlich: »Sie werden die Institutionen schwächen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährleisten.« Zudem erwarte er, dass »ultrarechte Repräsentanten in Regierungsinstitutionen eindringen, die immer als mäßigendes, demokratisches und liberales Fundament gedient haben«.

Netanjahus Bündnispartner wollen zudem eine sogenannte Überwindungsklausel auf den Weg bringen. Damit könnte das Parlament mit einer Mehrheit von 61 Abgeordneten Gesetze durchsetzen, auch wenn das Höchste Gericht diese als illegal einstuft. Das Bündnis hätte Abgeordnete genug. Dann wäre Israel jedoch »keine Demokratie mehr«, warnt bereits der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer, Avi Chimi.

Netanjahu selbst sprach sich einst gegen eine Einschränkung des Justizsystems aus, weil es ohne Gewaltenteilung kein funktionierende Demokratie gebe. Unter dem Eindruck der Ermittlungen und des seit 2020 gegen ihn laufenden Korruptionsprozesses änderte er seine Einstellung. Bezalel Smotrich von der Religiös-Zionistischen Partei will die Delikte Untreue und Betrug aus dem Gesetz streichen - was auch die Aufhebung des Verfahrens gegen Netanjahu bewirken könnte.

Smotrich soll das Finanzministerium übernehmen. Der 42-Jährige macht sich seit Jahren für israelische Siedler in den besetzten Gebieten stark und ist strikt gegen die Gründung eines Palästinenserstaates. Im Rahmen der bisherigen Vereinbarungen soll er weitreichende Befugnisse erhalten, die den Siedlungsausbau im besetzten Westjordanland sowie Ost-Jerusalem erleichtern.

Gerät die Polizei in falsche Hände?

Die wohl umstrittenste Figur im neuen Machtgefüge jedoch ist Itamar Ben-Gvir. Seine Partei Ozma Jehudit (Jüdische Kraft) hatte sich für die Wahl dem Bündnis um die Religiös-Zionistische Partei angeschlossen. Der 46-Jährige, der wegen Unterstützung einer jüdischen terroristischen Organisation verurteilt wurde, soll Minister für Nationale Sicherheit werden. »Die Polizei wird von jemandem kontrolliert, der als zu extrem galt, um in der Armee zu dienen«, warnt Politikwissenschaftler Rynhold.

Ben-Gvir könnte versuchen, den Status quo auf dem Tempelberg in Jerusalem zu ändern. Sollte auch Juden das Gebet auf der Anlage erlaubt werden, ist mit Zorn unter den Muslimen und einer weiteren Eskalation in den Beziehungen mit den Palästinensern und Jordanien zu rechnen. »Die Situation im Westjordanland ist sehr explosiv, auch wegen der korrupten Palästinenserbehörde«, sagt Rynhold. »Extremisten auf beiden Seiten würden sich über eine weitere Eskalation freuen.«

Jaakov Katz, Chefredakteur der konservativen »Jerusalem Post« nannte Ben-Gvir zuletzt eine »riesige Bedrohung für den Staat Israel«. Er sei ein Rassist gegenüber Palästinensern, »wie die Kombination eines Verfechters der Überlegenheit der Weißen in den USA und eines Faschisten in Europa«.

Für Wirbel sorgte auch eine Vereinbarung mit Avi Maoz von der Noam-Partei, ebenfalls Teil des Bündnisses um Smotrich. Er trat im Wahlkampf mit homophoben Sprüchen und Zielen in Erscheinung. Künftig soll er für externe Programme an Schulen zuständig sein, was Proteste von Schulleitern und Kommunen auslöste. Maoz kündigte auch die Abschaffung der Gay-Pride-Parade in Jerusalem an.

Derweil bemüht sich Netanjahu sichtlich, die Wogen zu glätten. Der 73-Jährige pocht darauf, die Agenda seiner neuen Regierung selbst zu bestimmen. Er präsentiert sich dabei betont staatsmännisch und liberal. Rynhold sieht dennoch auf lange Sicht die Unterstützung für Israel in der Demokratischen Partei der USA gefährdet. »Mit einer Regierung mit so vielen Extremisten könnte leicht etwas geschehen, was Schaden verursacht.«

© dpa-infocom, dpa:221211-99-862581/3