Schon der Ort dieses Treffens ist eine Botschaft, die an Deutlichkeit nicht zu überbieten ist.
Es ist kein Zufall, dass US-Verteidigungsminister Lloyd Austin Verbündete aus mehr als 30 Ländern am Dienstag ausgerechnet auf dem größten Militärstützpunkt der USA in Europa empfängt, um über Hilfe für die Ukraine zu beraten.
Auf der Luftwaffen-Basis im pfälzischen Ramstein arbeiten um die 15.000 US-Soldaten und Zivilisten. Sie gilt als wichtigstes Drehkreuz für US-Operationen in Europa, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika. »Flugzeugträger Amerikas in Deutschland«, wird der Stützpunkt auch genannt.
Das Treffen findet in einem fensterlosen Raum im Offiziersclub neben dem Hauptquartier der US-Luftwaffe in Europa statt. Neben zahlreichen Verteidigungsministern sind Topmilitärs gekommen, etwa US-Generalstabschef Mark Milley oder der Oberkommandierende der US-Streitkräfte in Europa, General Tod Wolters. Auf dem Weg zur Base steht Polizei, rund um das Gelände und auf dem Areal sind Straßensperren, gepanzerte Fahrzeuge und Soldaten mit Maschinenpistolen sichtbar postiert. Flaggen der Teilnehmerländer säumen die Zufahrtsstraße.
Austin: »Kampf gegen Russlands ungerechte Invasion gewinnen«
Gastgeber Austin war erst am Tag zuvor zusammen mit US-Außenminister Antony Blinken in Kiew, um der Ukraine weitere Waffen im Wert von 322 Millionen Dollar und Munition für 165 Millionen Dollar zuzusagen. »Wir wollen Russland in dem Ausmaß geschwächt sehen, dass es die Art von Dingen, die es mit dem Einmarsch in die Ukraine getan hat, nicht mehr machen kann«, sagt der Verteidigungsminister. Eine kernige Ansage von der ukrainischen Hauptstadt aus in Richtung Moskau.
Im Ramstein wollen die USA nun auch mit den Bündnispartnern der Nato und darüber hinaus den militärischen Schulterschluss für die Verteidigung der Ukraine demonstrieren. »Wir sind hier, um der Ukraine zu helfen, den Kampf gegen Russlands ungerechte Invasion zu gewinnen und die Verteidigung der Ukraine für die Herausforderungen von morgen aufzubauen«, sagt Austin gleich zur Eröffnung.
Lambrecht: »Der Gepard ist genau das, was die Ukraine jetzt braucht«
Mit dabei ist Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), die sich zusammen mit Kanzler Olaf Scholz schon seit Wochen den Vorwurf des Zögerns und Zauderns im Ukraine-Krieg gefallen lassen muss. Dass sie dort nicht mit leeren Händen erscheinen würde, war von vorneherein klar. Gleich zum Auftakt der Konferenz verkündet sie etwas, auf das viele Bündnispartner gerade in Osteuropa lange gewartet haben: Deutschland wird nicht nur die Lieferung schwerer Waffen aus anderen Ländern unterstützen, sondern auch selbst liefern. Und zwar zunächst einmal Gepard-Flugabwehrpanzer der Rüstungsschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW), die von der Bundeswehr vor Jahren ausgemustert wurden.
»Der Gepard ist genau das, was die Ukraine jetzt braucht, um den Luftraum zu sichern vom Boden aus«, sagt Lambrecht. »Wenn die Ukraine jetzt ganz dringend solche Flugabwehrsysteme braucht, sind wir bereit, sie zu unterstützen.«
Die Bundesregierung hat lange gebraucht, um sich zu dieser Entscheidung durchzuringen. Die Lieferung von schweren Waffen aus Beständen der Bundeswehr hat Scholz vergangene Woche praktisch ausgeschlossen. Der sogenannte Ringtausch - die Bereitstellung von Ersatz für die Lieferung von Waffen sowjetischer Bauart aus anderen Ländern - galt zunächst als der deutsche Weg für die Bereitstellung von Panzern oder Artillerie. Also nur über Bande. Ob die deutsche Industrie schwere Waffen liefern darf, war noch offen geblieben. Jetzt ist sie beantwortet - mit einem klaren Ja.
Von den USA gibt es Beifall dafür. Deutschland sei »ein toller Freund und Verbündeter« der USA, sagt Austin. Die Panzer-Lieferung sei ein »bedeutender« Schritt. Die erste Reaktion aus Polen fällt dagegen weniger euphorisch aus. »Die Gepard-Panzer reichen nicht aus«, sagte Vizeaußenminister Szymon Szynkowski vel Sek der Deutschen Presse-Agentur während eines Berlin-Besuchs gemeinsam mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Er erwartet, dass die Bundesregierung nun auch für weitere Anträge der Industrie auf Lieferung schwerer Waffen grünes Licht gibt, konkret für Leopard-Kampfpanzer, Marder-Schützenpanzer und Panzerhaubitzen. »Ich sehe keinen Grund, warum solche Waffen nicht geliefert werden sollten«, sagt er.
Lawrow: »Die Gefahr ist ernst, real«
In Moskau wird das natürlich ganz anders gesehen. Es ist kein Zufall, dass Russlands Außenminister Sergej Lawrow das Treffen in Ramstein mit einem Interview im Moskauer Staatsfernsehen und mit einer Pressekonferenz im Beisein von UN-Chef António Guterres flankiert. Noch bevor Austin, Lambrecht und Co. mit ihren Beratungen beginnen, schickt er eine deutliche Warnung in die Pfalz. »Die Gefahr ist ernst, real«, sagt er. Und: »Wir sollten den dritten Weltkrieg nicht zulassen.« Lawrow wirft der Nato vor, einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen. »Sie wollen mit diesen Waffenlieferungen, dass die Ukrainer mit Russland bis zum letzten Soldaten kämpfen.«.
Auch Kremlchef Wladimir Putin hatte den USA vorgeworfen, die Ukraine als Instrument zu benutzen, um auf Russland Druck auszuüben, das Land in die Knie zu zwingen. Putins Chefdiplomat betont indes, dass die russischen Truppen in der Ukraine die westlichen Waffen als »legitimes Ziel« ansehen würden. Täglich meldet das russische Verteidigungsministerium, dass auch Lager mit vom Westen gelieferten Waffen und Munition vernichtet würden.
Lawrow beklagt, dass es den USA darum gehe, Russland zu »besiegen«. Und er wirft dem Westen vor, die Schlacht lieber auf dem Feld zu entscheiden. »Wenn das so weitergeht, werden die Verhandlungen wohl kaum ein Ergebnis bringen.« Russland hat längst seine Atomwaffen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Und Lawrow weist nun ausdrücklich darauf hin, dass es heute keinen direkten Draht zwischen Moskau und Washington mehr gebe, um sich im Ernstfall zu verständigen. Das sei bei der Kuba-Krise von 1962, als die beiden Weltmächte USA und Sowjetunion am Rande eines Atomkrieges standen, noch anders gewesen. »Jetzt gibt es keinen solchen Kanal mehr und keiner versucht, ihn zu schaffen.«
Auch Scholz hat vor Drittem Weltkrieg gewarnt
Kanzler Scholz werden die Äußerungen Lawrows nicht überraschen. Auch er hatte in der vergangenen Woche in einem »Spiegel«-Interview vor einem Atomkrieg, einem Dritten Weltkrieg gewarnt. Er bezeichnete es als oberste Priorität seiner Ukraine-Politik, ein Übergreifen des Krieges auf die Nato zu vermeiden - und begründete so indirekt auch seine Zurückhaltung bei den Waffenlieferungen. »Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem Dritten Weltkrieg führt«, sagte er. Nur wie weit man bei der Unterstützung der Ukraine gehen kann, ohne dass es zu einer Eskalation kommt, diese Frage lässt sich bei einem unberechenbaren Gegenüber wie Putin kaum beantworten.
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