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Nach Biden-Verzicht: Harris will gegen Trump antreten

Joe Bidens Rückzug von der US-Präsidentschaftskandidatur ist ein politisches Erdbeben, das Demokraten hoffen lässt. Der republikanische Kandidat Trump stellt eine überraschende Forderung.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris
Die ehemalige Staatsanwältin Harris. (Archivbild) Foto: Stephanie Scarbrough/DPA
Die ehemalige Staatsanwältin Harris. (Archivbild)
Foto: Stephanie Scarbrough/DPA

Nach dem dramatischen Rückzug von US-Präsident Joe Biden als Spitzenkandidat hoffen die US-Demokraten auf eine Wende im Wahlkampf gegen den Republikaner Donald Trump. Als aussichtsreichste Ersatzbewerberin vor der Abstimmung im November gilt die von Biden und zahlreichen weiteren Parteigrößen unterstützte gegenwärtige Vizepräsidentin Kamala Harris. 

»Ich fühle mich geehrt, die Unterstützung des Präsidenten zu haben, und ich habe die Absicht, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen«, teilte die ehemalige kalifornische Generalstaatsanwältin und Ex-Senatorin mit. Die 59-jährige Harris ist die erste Schwarze, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat und gilt als schlagfertig und kämpferisch. Sie ist 19 Jahre jünger als Trump, machte an der Seite Bidens in der öffentlichen Wahrnehmung aber nicht immer eine gute Figur.

Reißleine nach desaströser Debatte 

Der 81-jährige Biden, der von seinen Parteikollegen als selbstloser Held und großer US-Präsident gefeiert wurde, zog mit dem Rückzug die Reißleine nach einer desaströsen Debatte gegen Trump Ende Juni. In den vergangenen Tagen wurde es unter dem enormen Druck des demokratischen Partei-Establishments immer deutlicher, dass Biden sich von den Folgen des Auftritts nicht mehr erholen würde. 

Biden war zuletzt wegen seines geistigen Zustands nicht nur in der eigenen Partei massiv unter Druck geraten, auch seine Zustimmungswerte sanken weiter. Spender zogen sich zurück. »Obwohl es meine Absicht war, mich um eine Wiederwahl zu bemühen, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, wenn ich mich zurückziehe und mich für den Rest meiner Amtszeit ausschließlich auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident konzentriere«, gab Biden den Forderungen in einem Brief an die Amerikaner nun nach. US-Medien zufolge kamen nach Bidens Entscheidung wieder Millionenspenden herein. 

Der Rückzug nur dreieinhalb Monate vor der US-Schicksalswahl markiert eine spektakuläre Wende in einem Wahlkampf, bei dem sich der frühere Präsident Donald Trump nach dem gescheiterten Attentat vor einer Woche gute Chancen gegen Biden ausrechnete. In so gut wie allen Umfragen lag Trump deutlich vor dem Amtsinhaber. Experten machten dafür aber eher Bidens Schwäche als Trumps Stärke verantwortlich.

Demonstrative Einheit für Harris

Der Austausch des designierten Spitzenkandidaten nur wenige Monate vor der US-Wahl und nur Wochen vor wichtigen Fristen in einigen Bundesstaaten ist für die Demokraten ein heikles Manöver. Nachdem Biden seiner Vize die volle Unterstützung zugesagt hatte, sprachen sich auch eine Reihe weiterer Parteigrößen zügig für sie aus - darunter vor allem die ebenfalls als mögliche Bewerber gehandelten Gouverneure Gavin Newsom (Kalifornien), Josh Shapiro (Pennsylvania) und Roy Cooper (North Carolina).

 

Vom linken Flügel der Partei bekam Harris Unterstützung von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Auch Konkurrenz von der einflussreichen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, muss die Vizepräsidentin nach deren Verzicht nicht fürchten. Der ehemalige Präsident Barack Obama sprach dagegen nur von der Zuversicht, dass »ein herausragender Kandidat« gefunden werde. 

Wenige Stunden nach Bidens Rückzug erschien die Chance zunächst gering, dass Harris einen ernsthaften innerparteilichen Konkurrenten bekommt. Nach Berichten einiger US-Medien erwägt der als Quertreiber bekannte Senator Joe Manchin, anzutreten. Chancen dürfte er nicht haben. Der Nominierungsparteitag der Demokraten findet Mitte August in Chicago statt. Ein Narrativ für das Duell der ehemaligen Staatsanwältin gegen den jüngst verurteilten Straftäter Trump dürfte für die Demokraten auf der Hand liegen.

Trump schäumt und spricht von »Betrug«

Donald Trump schien nach dem Rückzug Bidens wütend. Sein Team habe Zeit und Geld in »den Kampf gegen den betrügerischen Joe Biden« investiert. »Jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen«, schimpfte Trump auf der von ihm mitbegründeten Internet-Plattform Truth Social. Der 78-Jährige stellte eine Entschädigung der Republikaner für diesen »Betrug« an seiner Partei in den Raum.

Der 78-Jährige war beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee vergangene Woche offiziell zum Kandidaten seiner Partei gekürt worden. Als Vizekandidat der Republikaner geht der Senator J.D. Vance ins Rennen. Der Parteitag inszenierte Trump nach dem Attentat auf ihn als Politiker, den die Schüsse verändert haben und der nun das tief gespaltene Land einen wolle. 

In seiner eigenen Nominierungsrede fiel Trump allerdings in alte Muster zurück, warf den Demokraten Wahlbetrug vor und beleidigte seine politischen Gegner. Trump und die Republikaner hatten gehofft, bei der Wahl im November gegen Biden leichtes Spiel zu haben - zumal Trump unter seinen eigenen Fans nach dem überlebten Angriff geradezu Legendenstatus erreicht hat.

Die Krise der vergangenen Wochen

Seit Bidens desaströsem Auftritt bei einem Fernsehduell gegen Trump war die Kritik an seinem Alter, das schon länger ein Problem für Wählende war, übergekocht. Während des Schlagabtauschs hatte sich der mächtigste Mann der Welt regelmäßig verhaspelt. Er verlor den Faden, starrte mit offenem Mund ins Leere und konnte häufig seine Sätze nicht richtig beenden.

Biden selbst versuchte zunächst, sich herauszureden. Seinen schwachen Auftritt begründete er mit Müdigkeit in Folge anstrengender Auslandsreisen. Bei diversen Auftritten versicherte er trotzig, er werde sich nicht zurückziehen. Doch weitere Patzer folgten. Am Ende wurde der Druck aus den eigenen Reihen zu groß.

In den vergangenen Tagen hatte sich Biden nach einer Infektion mit dem Coronavirus in sein Privathaus in Rehoboth, Delaware zurückgezogen und keine öffentlichen Termine absolviert. Während seiner Zwangspause fasste er nun den Entschluss, sich dem Druck seiner Parteikollegen zu beugen.

Respekt für Biden

Führende Demokraten sowie Staats- und Regierungschef aus der ganzen Welt zollten Biden Respekt für den bedeutenden Schritt. Der führende Demokrat im Senat, Chuck Schumer, würdigte Biden als großartigen Präsidenten und bemerkenswerten Menschen. »Seine Entscheidung war gewiss nicht leicht, aber er hat wieder einmal sein Land, seine Partei und unsere Zukunft an die erste Stelle gesetzt«, schrieb Schumer in einer Stellungnahme. Der heutige Tag zeige, dass Biden »ein wahrer Patriot und großer Amerikaner« sei. First Lady Jill Biden (73) kommentierte den Rückzug ihres Ehemannes mit zwei Herzen auf der Plattform X. 

Ein Wahljahr wie keines zuvor

Schon vor dieser größtmöglichen Komplikation war dieses US-Wahljahr eines, das auf allen Ebenen heraussticht, vor allem mit Blick auf den republikanischen Kandidaten. Mit Trump bewirbt sich ein verurteilter Straftäter um das höchste Amt im Staat. Als erster Ex-Präsident der USA wurde er in einem Strafverfahren schuldig gesprochen - wegen der Verschleierung einer Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin. Im Wahlkampf hat das dem 78-Jährigen bislang nicht geschadet. Es laufen noch andere Strafverfahren gegen ihn - allerdings dürfte es vor dem Wahltag in diesen Fällen nicht mehr zum Prozess kommen.

Zu einer Eskalation im Wahlkampf kam es vor gut einer Woche, als ein Schütze auf einer Veranstaltung Trumps in Pennsylvania das Feuer eröffnete. Trump wurde bei dem Attentat am Ohr verletzt, ein Zuschauer kam ums Leben, zwei weitere wurden verwundet.

Bereits das jüngste US-Wahljahr 2020 war chaotisch gewesen. Trump akzeptierte seine Wahlniederlage gegen Biden damals nicht, sondern versuchte mit drastischen Mitteln, den Wahlausgang umzukehren. Sein Feldzug gipfelte damals in einem gewaltsamen Angriff seiner Anhänger auf das US-Kapitol, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen. (dpa)