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Nach Abe-Attentat: Japan wählt Oberhaus

In Japan finden zwei Tage nach dem Attentat auf Ex-Regierungschef Abe Parlamentswahlen statt. Derweil verdichten sich Hinweise auf die Umstände des Attentats auf den Rechtskonservativen.

Japan
Ein Mann gibt in einem Wahllokal in Tokio seine Stimme für die Oberhauswahlen ab. Foto: Eugene Hoshiko
Ein Mann gibt in einem Wahllokal in Tokio seine Stimme für die Oberhauswahlen ab.
Foto: Eugene Hoshiko

Unter dem Eindruck des Attentats auf Japans früheren Ministerpräsidenten Shinzo Abe sind die Wähler des Landes am Sonntag zur Abstimmung über die Besetzung des Oberhauses des nationalen Parlaments aufgerufen gewesen. Der Politiker war zwei Tage zuvor während einer Wahlkampfrede auf offener Straße erschossen worden. Bereits vor seiner Ermordung durch einen Ex-Marinesoldaten zeigten Umfragen, dass Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) und ihr kleinerer Partner Komeito ihre bisherige Mehrheit festigen dürften. Alle drei Jahre wird die Hälfte der 248 Sitze im Oberhaus neu vergeben. Die Wahllokale schließen um 20.00 Uhr Ortszeit.

Ein klarer Sieg würde die Machtposition von Regierungschef Fumio Kishida in einer Zeit stärken, in der Japans wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise bedroht ist. Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine und des Machtstrebens Chinas fordert seine Partei zudem eine starke Erhöhung der Militärausgaben.

Unterdessen wurde der verhaftete Abe-Attentäter am Sonntag der Staatsanwaltschaft überstellt. Der zuletzt Arbeitslose hatte den Politiker am Freitag bei einer Wahlkampfrede in der Stadt Nara auf offener Straße mit einer selbstgebauten Waffe erschossen. Er sagte nach seiner Verhaftung laut Medienberichten, er habe aus Hass auf eine religiöse Gruppierung gehandelt, die Abe unterstützt habe.

Rätselraten um religiöse Gruppe

Seine Mutter habe der religiösen Organisation hohe Summen gespendet, was sie ruiniert habe. Den Namen der Gruppe wollen weder Polizei noch Japans staatstragende Medien bisher nennen. Das Online-Magazin »Gendai Business« will jedoch nun aus Ermittlungskreisen erfahren haben, dass es sich um die umstrittene Vereinigungskirche des verstorbenen koreanischen Sektengründers San Myung Mun handele.

Die auch als Mun-Sekte bekannte Vereinigungskirche hat Mitglieder in vielen Ländern, darunter auch in Japan, und unterstützt konservative politische Anliegen. Politiker wie der frühere US-Präsident Donald Trump und Abe gelten als ihr freundlich gegenüber eingestellt.

Mun, der stark anti-kommunistisch gesinnt war, gründete sie 1954. Dank einer ergebenen Gefolgschaft baute er ein Firmenimperium auf, das ihn zum Milliardär machte. Er war bekannt für große Auftritte, wozu auch Massenhochzeiten gehörten. Bereits zuvor hatte es in Japans sozialen Medien Spekulationen gegeben, dass der Abe-Attentäter diese Gruppe gemeint haben könnte. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht.

Sprengstoff und selbstgebastelte Schusswaffen

Der geständige Attentäter verneinte laut Medien im Verhör, aus Groll über Abes politische Überzeugungen gehandelt zu haben. Ursprünglich habe er es auch gar nicht auf den rechtskonservativen Politiker abgesehen gehabt, sondern auf einen Anführer der religiösen Gruppe. Laut der Nachrichtenagentur Kyodo vom Sonntag soll er versucht haben, eine Bombe zu bauen. In seiner Wohnung fand die Polizei Sprengstoff und selbstgebastelte Schusswaffen, die der Tatwaffe ähnelten. Mit dieser habe er nach eigenen Aussagen sechs Kugeln auf einmal abfeuern können, meldete die japanische Zeitung »Yomiuri Shimbun« am Sonntag.

Wegen des Anschlags waren die letzten Wahlkampfauftritte begleitet von starken Sicherheitsvorkehrungen. Es ist in Japan eigentlich üblich, dass Politiker dabei kaum Abstand zu Bürgern halten. Als Kishida jedoch in den Präfekturen Yamanashi und Niigata seine letzten Auftritte absolvierte, waren viele Polizisten im Einsatz, Bürger wurden mit Metalldetektoren überprüft. »Wir werden niemals Gewalt nachgeben. Lasst uns die Demokratie beschützen«, rief Kishida.

Unterdessen räumte Japans Polizei Mängel beim Schutz von Ex-Premier Abe ein. In einem Schild eines Wahlkampfautos des örtlichen Kandidaten, für den Abe die Rede hielt, seien mehrere Einschusslöcher entdeckt worden, hieß es am Samstag ohne nähere Angaben. »Es ist unbestreitbar, dass es Probleme mit der Sicherheit gab«, räumte der Chef der Präfekturpolizei von Nara, Tomoaki Onizuka, ein. Der Täter hatte sich am Vortag in der Stadt Nara ungehindert dem auf einer Verkehrsinsel stehenden Abe von hinten nähern können.

Am Montag ist eine Totenwache für den Ermorderten und am folgenden Tag die Bestattung im Kreise engster Angehöriger vorgesehen, wie sein Büro bekanntgab. US-Außenminister Antony Blinken wollte auf seinem Weg von Bangkok einen Stopp in Japan einlegen, um sein Beileid für Abes Tod zum Ausdruck zu bringen, teilte das State Department am Sonntag mit.

© dpa-infocom, dpa:220710-99-969273/7