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Montenegro: Ende der Ära Djukanovic hinterlässt Fragen

Im kleinen Balkanland an der Adria endet ein Zeitalter. Mehr als drei Jahrzehnte bestimmte Milo Djukanovic im Guten wie im Schlechten die Politik. Welchen Weg schlagen die Nachfolger ein?

Jakov Milatovic
Jakov Milatovic ist klarer Gewinner bei der Präsidentenwahl in Montenegro. Der Wirtschaftswissenschaftler befürwortet unter anderem eine Annäherung an Serbien. Foto: Risto Bozovic
Jakov Milatovic ist klarer Gewinner bei der Präsidentenwahl in Montenegro. Der Wirtschaftswissenschaftler befürwortet unter anderem eine Annäherung an Serbien.
Foto: Risto Bozovic

Nach mehr als drei Jahrzehnten an der Macht muss Montenegros Staatspräsident Milo Djukanovic seine letzte Bastion räumen. Bei der Stichwahl um das höchste Staatsamt unterlag der prowestliche Politiker am Sonntag dem Polit-Neuling Jakov Milatovic von der Partei »Europa Jetzt!«. Ihn unterstützte das proserbische Lager, das für eine Vereinigung mit oder eine enge Bindung an Serbien eintritt. Mit dem nunmehr besiegelten Abgang von Djukanovic, der sein Land 2006 in die Unabhängigkeit und 2017 in die Nato führte, stellt sich die Frage, welchen außenpolitischen Weg das kleine Balkanland an der Adria künftig einschlagen wird.

Nach Angaben von Wahlforschern brachte Wahlsieger Milatovic 59 bis 60 Prozent der Wähler hinter sich. Djukanovic musste sich demnach mit 40 bis 41 Prozent der Stimmen begnügen. Die staatliche Wahlkommission gab bis Montagnachmittag noch keine Ergebnisse bekannt.

Der abgewählte Präsident gratulierte noch in der Wahlnacht seinem Nachfolger. Wahlgewinner Milatovic ließ sich von Anhängern am Sitz von »Europa Jetzt!« feiern, die in Chören riefen: »Milo (Djukanovic), es ist vorbei!« Er sagte, der Sieg werde Montenegro verändern. Kriminalität und Korruption werde es in der Politik des Landes nicht mehr geben. Der Weg nach Europa bleibe Priorität.

Eine Ära geht zu Ende

Die 30 Jahre zuvor hatte der scheidende Präsident Djukanovic in wechselnden Funktionen die Politik in Montenegro bestimmt: zwei Mal war er Präsident, vier Mal Ministerpräsident. Seine Herrschaft war immer wieder von Korruption, Vetternwirtschaft und Nähe zum organisierten Verbrechen überschattet. In die Wahl war er eigentlich schon als Oppositionskandidat gegangen: Seine Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) war bereits vor mehr als zwei Jahren bei der Parlamentswahl einem Bündnis aus proserbischen und Reformparteien unterlegen. Seitdem amtierte er in einer spannungsgeladenen Machtteilung mit instabilen, größtenteils proserbischen Regierungen.

Zu den bleibenden Verdiensten des abtretenden Patriarchen gehört, dass er 1997 mit dem jugoslawisch-serbischen Kriegsherrn Slobodan Milosevic brach. In der Zeit der Kroatien- und Bosnienkriege war er mit ihm noch eng verbündet gewesen. Unter einem nicht unerheblichen persönlichen Risiko entzog er sein Land, das damals noch Bestandteil Rest-Jugoslawiens war, der Kontrolle Belgrads. Die Unabhängigkeit erzielte er 2006 auf friedlichem Weg, über ein Referendum, dessen Ausgang die damalige demokratische Regierung in Serbien akzeptierte. 

Auch zu Russland, dessen Investoren er in den 1990er-Jahren noch großzügig eingeladen hatte, brach Djukanovic viele Bande. 2016, ein Jahr vor dem Nato-Beitritt, unternahmen mit dem russischen Militärgeheimdienst GRU verbundene Agenten und Söldner aus Serbien einen Putschversuch, mit dem Ziel, ihn zu töten. Montenegrinische Sicherheitsdienste vereitelten den Plot.

Kritik an Staatsverschuldung

Der gewählte Präsident Milatovic ist erst 36 Jahre alt. Er studierte Ökonomie, arbeitete für Banken in Großbritannien und Deutschland. Politisch trat er erstmals als Wirtschaftsminister der ersten, kurzlebigen proserbischen Regierung nach 2020 in Erscheinung. Er erhöhte die Löhne massiv, unter anderen durch Streichung der Pflichtbeiträge für die Krankenkassen. Kritiker werfen ihm die Inkaufnahme einer Staatsverschuldung und den Ruin des Gesundheitswesens vor.

Nach dem Ende der ersten proserbischen Regierung im April 2022 gründeten Milatovic und sein Gesinnungsfreund Milojko Spajic - beide stehen der aus Belgrad gelenkten serbisch-orthodoxen Kirche nah - die Partei »Europa Jetzt!«. Diese gibt sich reformfreudig, proeuropäisch und modern. Substanzielle Aussagen zum künftigen Verhältnis zu Serbien und Russland hat man aber von den beiden Parteigründern bislang nicht vernommen.

Beobachter rechnen jedenfalls mit einer engen Anbindung an Serbien. Vor allem könnte dies nach der vorgezogenen Parlamentswahl am 11. Juni eintreten. »Europa Jetzt!« gilt als klarer Favorit. Zusammen könnte das proserbische Lager nahe an eine Zweidrittelmehrheit gelangen, mit der es die Verfassung ändern könnte.

Dem Schriftsteller Andrej Nikolaidis macht die sich abzeichnende Übermacht des proserbischen Blocks Angst. »Jeder, der politisch so stark ist, würde sich zum Machtmissbrauch verleiten lassen«, meinte er am Montag. Das wahre Reformpotenzial von »Europa Jetzt!« lasse sich schwer beurteilen. »Es wäre aber naiv, den Umstand auszublenden, dass diese Gruppierung auf der Woge eines massiven serbischen Nationalismus groß geworden ist«, fügte er hinzu.

© dpa-infocom, dpa:230402-99-184063/6