PRETORIA. Kanzlerin Angela Merkel hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen von AfD und CDU als »unverzeihlich« kritisiert. Das Ergebnis dieses Vorgangs müsse rückgängig gemacht werden, verlangte Merkel bei einem Südafrika-Besuch.
Sie stellte sich damit indirekt hinter Neuwahl-Forderungen. Die FDP-Bundesspitze suchte nach der umstrittenen Wahl ihres Parteikollegen einen Weg aus der Krise.
Merkel betonte in Pretoria: »Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat.« Es müsse jetzt alles getan werden, damit deutlich werde, dass dies in keiner Weise mit dem in Übereinstimmung gebracht werden könne, was die CDU denke und tue. »Daran wird in den nächsten Tagen zu arbeiten sein«, sagte Merkel.
Kemmerich war am Mittwoch im Thüringer Landtag überraschend mit den Stimmen von Liberalen, CDU und AfD zum Regierungschef gewählt worden. Der Kandidat der FDP, die im Herbst nur knapp den Sprung in den Landtag geschafft hatte, setzte sich gegen den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken durch. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsident ins Amt half.
Merkel wollte sich nicht zu der Frage äußern, ob die Vorgänge in Thüringen auch dazu führen könnten, dass die große Koaltion in Berlin scheitert. Sie habe bereits Kontakt zu Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gehabt. Es sei wichtig, die Dinge am Samstag im Koalitionsausschuss zu besprechen, sagte sie.
FDP-Chef Christian Lindner wollte am Vormittag mit der Landes-FDP in Erfurt über weitere Schritte beraten, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Nach Informationen des »Tagesspiegels« will Lindner Kemmerich zum Rückzug bewegen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sprach sich denn auch für eine Neuwahl aus.
Kemmerich bekräftigte im ARD-»Morgenmagazin« aber, er sei gewählt und eine Neuwahl würde nur zu einer Stärkung der Ränder führen. »Die Arbeit beginnt jetzt«, sagte er. Der Chef der Fünf-Prozent-Partei will mit CDU, SPD und Grünen eine Minderheitsregierung bilden. SPD und Grüne haben einer Zusammenarbeit aber bereits eine Absage erteilt. Ein Bündnis aus FDP, CDU, SPD und Grünen wäre auf eine Unterstützung von Linkspartei oder AfD angewiesen.
Kemmerich machte zudem deutlich, er habe die Lage vorher mit dem FDP-Chef beraten. »Ich war mit Christian Lindner permanent im Kontakt. Wir haben auch besprochen, was wir hier in Thüringen beschlossen haben«, sagte Kemmerich. »Er hat gesagt, die Entscheidung trifft letztlich der Thüringer Verband.«
Das Onlineportal »Business Insider« berichtete unter Berufung auf »Insider«, Lindner habe zwei Tage vor der Wahl grünes Licht für eine Kandidatur Kemmerichs gegeben. Es sei auch die Möglichkeit erörtert worden, dass dann die AfD für ihn stimmen könnte. Die FDP dementierte den Bericht auf Twitter. Zu keinem Zeitpunkt habe Lindner »intern oder öffentlich eine wie auch immer geartete Kooperation mit der AfD gebilligt«.
»Die Erklärung der Minderheitskoalitionäre aus Linken, SPD und Grünen, Fundamentalopposition zu betreiben, schafft eine neue Lage«, sagte Vize Kubicki der dpa. Es gebe offensichtlich keine Mehrheit im Landtag in Erfurt jenseits der AfD. »Neuwahlen werden damit unausweichlich. Der beste Weg zu Neuwahlen ist die Parlamentsauflösung. Ich erwarte einen entsprechenden Antrag von SPD, Grünen oder Linken im Thüringer Landtag. An der FDP wird er nicht scheitern«, sagte er weiter. Am Mittwoch hatte Kubicki noch von einem »großartigen Erfolg« für Kemmerich gesprochen und für ein Bündnis aller demokratischen Kräfte jenseits der AfD geworben.
Die Entwicklung in Thüringen belastet auch die große Koalition in Berlin. »Es gibt kein «Weiter so» und kein «Weiter» ohne eine Klärung des Problems«, sagte SPD-Chef Walter-Borjans der RTL/ntv-Redaktion. FDP und CDU seien gefordert, das Problem aus der Welt zu schaffen. »Ich rede ungern darüber, was wir machen, wenn etwas nicht passiert, sondern ich rede darüber, was passieren muss«, sagte Walter-Borjans weiter. »Für uns als Sozialdemokraten gilt, dass ein solches Ergebnis, das so zustande gekommen ist, keinen Bestand haben darf.« FDP und CDU dürften sich nicht »zum Steigbügelhalter für den Faschismus, für Rassismus, für Hetze gegen anders denkende Menschen missbrauchen lassen.« (dpa)