Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat nach tagelangem Schweigen den Vorwurf zurückgewiesen, er habe mit seinen Äußerungen über den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera den Holocaust verharmlost.
»Jeder, der mich kennt, weiß: immer habe ich den Holocaust auf das Schärfste verurteilt«, schrieb Melnyk auf Twitter. Die Vorwürfe gegen ihn seien »absurd«.
Die »Bild« und die »Süddeutsche Zeitung« berichteten unter Berufung auf ukrainische Quellen, Melnyk solle abberufen werden und ins Außenministerium nach Kiew wechseln. Noch im Herbst könnte der 46-Jährige stellvertretender Außenminister werden, schrieb die »Bild«.
Seit 2015 Botschafter in Berlin
Melnyk ist seit Januar 2015 Botschafter in Deutschland - eine außergewöhnlich lange Zeit für einen Diplomaten. Er hatte in den vergangenen Monaten mit seiner scharfen Kritik an der Bundesregierung für Aufsehen gesorgt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seinen Ministern warf er unter anderem vor, zu zögerlich Waffen für den Kampf gegen die russischen Angreifer in die Ukraine zu liefern.
Vergangene Woche geriet er dann wegen seiner Äußerungen zu Bandera selbst massiv in die Kritik. Bandera war während des Zweiten Weltkriegs Anführer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Nationalistische Partisanen aus dem Westen der Ukraine waren 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen verantwortlich, bei denen Zehntausende polnische und jüdische Zivilisten ermordet wurden.
Israelische Botschaft: »Verharmlosung des Holocausts«
Melnyk bestritt in einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung, dass Bandera ein Massenmörder von Juden und Polen gewesen sei. Der Nationalist sei gezielt von der Sowjetunion dämonisiert worden. Die israelische Botschaft hatte dem Botschafter daraufhin »eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden«, vorgeworfen.
Melnyk hatte anschließend tagelang geschwiegen, reagierte nun aber mit einem Tweet auf die Vorwürfe, den er ausdrücklich auch an die »lieben jüdischen Mitbürger« adressierte. Die Nazi-Verbrechen des Holocaust seien eine gemeinsame Tragödie der Ukraine und Israels, schrieb er darin.
Auf die Berichte über eine geplante Abberufung reagierten die Regierung in Kiew und Melnyk selbst zunächst nicht. Melnyk war bei einem Termin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit rund 150 nach Deutschland entsandten Botschaftern und hochrangigen Vertretern internationaler Organisationen in Franken nicht dabei.
© dpa-infocom, dpa:220705-99-912595/8