Bei einer der größten Demonstrationen der jüngeren deutschen Geschichte sind in Berlin mehr als Hunderttausend Menschen gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße gegangen.
Die Polizei sprach am Sonntag von einer Teilnehmerzahl im unteren sechsstelligen Bereich, die Veranstalter sprachen von einer halben Million Teilnehmern.
Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Initiativen, Umweltschutzorganisationen und Friedensgruppen hatte zu der Demonstration gegen den Angriff Russlands auf sein Nachbarland aufgerufen. Die Veranstalter waren zunächst von 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter dem Motto: »Stoppt den Krieg. Frieden für die Ukraine und ganz Europa« ausgegangen.
In den Farben Blau und Gelb
Auf Plakaten forderten die Menschen »Stop Putin - Stop war«, »Heizung runter für den Frieden« oder »Make Borschtsch not war«. An vielen Stellen waren die Farben Blau-Gelb der ukrainischen Fahne zu sehen, einige Demonstranten ließen Luftballons in den Farben in den Himmel steigen. »Putin hat Schiss vor Demokratie« oder »Russians against Putin« hieß es auf Plakaten und: »Ukrainer und Russen werden dich auf den Müllhaufen der Geschichte schicken«. Auch Karikaturen, die den Kreml-Chef mit Hitler verglichen, waren zu sehen. Vor der russischen Botschaft skandierten die Menschen: »Putin muss weg!«
Manche Schilder wiesen auch auf die Nähe zum Kriegsgebiet hin: »Berlin-Freiburg 680 km, Belin-Front 670 km«. Mit einer Schweigeminute gedachten die Protestierenden der Menschen in der Ukraine und den bisherigen Opfern des Krieges.
Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke sah in der Demonstration angesichts der dramatischen Situation ein starkes Zeichen der Solidarität. »Auch das ist wichtig: Putin ist nicht Russland«, sagte der Gewerkschaftschef. Respekt und Solidarität gehörten auch den mutigen Aktivistinnen und Aktivisten in Russland, die gegen das Regime demonstrierten.
Blind gegenüber russischem Imperialismus?
Die in der Ukraine geborene Aktivistin Oleksandra Bienert sprach auch »als Enkelin eines aktiven Gewerkschaftlers, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für Menschenrechte eingesetzt hat«. Der russische Krieg in der Ukraine sei für sie unerträglich, sagte sie mit zitternder Stimme. Sie frage sich, warum Deutschland blind gewesen sei gegenüber dem russischen Imperialismus.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD), Annette Kurschus, sagte: »Was so lange undenkbar schien, ist wirklich geworden. Die Wirklichkeit, die uns jetzt einholt, ist brutal. Ein Land ist über das andere hergefallen.« Sie warnte davor, sich zum Hass auf das russische Volk verführen zu lassen. Dieses Geschenk dürfe der kriegslüsternen Herrscherclique in Russland nicht gemacht werden.
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer sagte, es mache sie wütend, dass Regierungen, die offensichtlich an der Klimapolitik scheiterten nicht einmal die Sicherheitsinteressen im Blick hätten. »Es ist ein fossiler Krieg, finanziert von Ländern wie Deutschland«, sagte Neubauer. Waffen allein werden nach Neubauers Worten nicht reichen, solange Kohle und Öl von Putin bezogen werden. Solidarität dürfe nicht aufhören, wenn das Erdgas ausbleibe.
Demo-Gebiet extra erweitert
Der Bereich der Demonstration war deutlich ausgeweitet worden, nachdem die Straße des 17. Juni zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule bereits zu Demonstrationsbeginn mit Blick auf die Corona-Bedingungen ausgelastet war. Deswegen wurde das Demo-Gebiet bis zum S-Bahnhof Tiergarten und in die anderen Straßen um die Siegessäule ausgeweitet.
Die Menschen mussten durchgehend Maske tragen und Abstand halten. Darauf wies die Polizei per Lautsprecherdurchsagen und direkte Ansprachen hin. Zu Zwischenfällen kam es laut Polizei nicht.
Auch in Prag, Brünn (Brno) und anderen Städten Tschechiens versammelten sich Tausende Menschen zu friedlichen Solidaritätskundgebungen für die Ukraine. Das Nachrichtenportal Idnes.cz sprach sogar von Zehntausenden allein auf dem Wenzelsplatz in Prag.
Bereits am Samstag hatten Tausende in mehreren deutschen Städten protestiert. Nach Polizeiangaben waren es in Frankfurt 6000 bis 7000, in München 5000, in Düsseldorf knapp 4000.
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