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May will EU-Austrittsabkommen wieder aufschnüren

Theresa May erhofft sich vom Parlament den Auftrag, noch einmal mit Brüssel die schwierige Nordirland-Frage nachzuverhandeln. Nun hat die mit Spannung erwartete Debatte in London begonnen. Am Abend wird abgestimmt.

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Theresa May bei der Debatte über den Brexit-Deal. Foto: PA Wire
Theresa May bei der Debatte über den Brexit-Deal. Foto: PA Wire

London (dpa) - Die britische Premierministerin Theresa May will das mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen wieder aufschnüren. Das sagte May zu Beginn der Debatte über den weiteren Brexit-Kurs des Landes am Dienstag im Parlament in London.

Nach der Ablehnung des Brexit-Deals bei der Abstimmung Mitte Januar müssten nun die Bedenken der Angeordneten zum sogenannten Nordirland-Backstop berücksichtigt werden. Dazu sei »eine bedeutungsvolle und rechtlich bindende Veränderung am Austrittsabkommen« notwendig.

Die Regierungschefin hat die als Backstop bezeichnete Garantie für eine offene Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland als zentrales Problem ausgemacht. Die EU lehnt Änderungen am Austrittsabkommen vehement ab. Sie besteht auf der sogenannten Backstop-Klausel, weil eine Teilung der irischen Insel ein Wiederaufflammen der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion provozieren könnte. Doch ein großer Teil der Abgeordneten in Mays Konservativer Partei und die nordirisch-protestantische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, lehnen die Regelung ab.

Am Morgen lag bereits ein gutes Dutzend Änderungsanträge vor. Die Vorschläge reichten von Nachverhandlungen zur schwierigen Irland-Frage bis hin zu einer Verschiebung des Austrittstermins. Doch eine sichere Mehrheit zeichnete sich für keinen der Anträge ab.

Die EU lehnt Änderungen am Austrittsabkommen vehement ab. Trotzdem setzt May Berichten zufolge darauf, dass sich die britischen Abgeordneten mehrheitlich hinter einen Vorschlag stellen, der den Backstop durch »alternative Regelungen« ersetzen soll.

Das mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen war am 15. Januar mit überwältigender Mehrheit der Abgeordneten im Unterhaus abgelehnt worden. Am 29. März will Großbritannien die EU verlassen. Doch die Angst wächst auf beiden Seiten, dass es zu einem ungeregelten Austritt kommen könnte. Bei den Abstimmungen am Abend soll nun der weitere Kurs abgesteckt werden.

Labour-Chef Jeremy Corbyn stellte sich hinter die Forderung nach einer Verschiebung des Austrittstermins, um einen Brexit ohne Abkommen abzuwenden. Sollte der Antrag der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper zur Abstimmung kommen, werden ihm gute Erfolgschancen eingeräumt. Er sieht vor, die Regierung zum Beantragen einer Fristverlängerung zu verpflichten, sollte bis Ende Februar kein Brexit-Abkommen ratifiziert sein.

Hoffnung, dass sich doch noch eine Mehrheit im heillos zerstrittenen Unterhaus findet, machten Berichte über einen »Plan C« für den EU-Austritt, den konservative Abgeordnete aus beiden Lagern in den vergangenen Tagen ausarbeitet hatten. Der sogenannte Malthouse-Plan greift die Idee wieder auf, dass notwendige Grenzkontrollen an der nordirisch-irischen Grenze mit technologischen Mitteln durchgeführt werden sollen. Wie diese aussehen sollen, konnte bisher aber noch niemand erklären. Für den Fall eines Brexits ohne Abkommen sieht der Plan vor, dass sich Großbritannien mit Beitragszahlungen an die EU eine Übergangsfrist erkauft.

Die EU besteht auf der sogenannten Backstop-Klausel, weil eine Teilung der irischen Insel ein Wiederaufflammen der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion provozieren könnte. Doch ein großer Teil der Abgeordneten in Mays Konservativer Partei und die nordirisch-protestantische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, lehnen die Regelung ab.

Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist, außerdem sollen in Nordirland weiter einige Binnenmarktregeln gelten. Kritiker fürchten, diese Klausel könne Großbritannien dauerhaft an die Europäische Union binden. Die DUP lehnt jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab. Alle EU-Institutionen haben bislang betont, dass das Austrittsabkommen nicht nachverhandelt werden kann - vor allem nicht der Backstop. Die Brexit-Fachleute im EU-Parlament schlossen zuletzt aus, ein Abkommen ohne »wetterfesten Backstop« zu ratifizieren.

Die EU-Kommission schwieg sich zu den diversen Lösungsansätzen im britischen Unterhaus am Dienstag aus. »Dies ist kein Brüssel-Tag, es ist ein London-Tag, und dann sehen wir weiter«, sagte Sprecher Margaritis Schinas. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei in ständigem Kontakt mit London und stehe auch ständig bereit für Gespräche. Zum Malthouse-Plan sagte Schinas: »Wir haben nichts bekommen, es ist nichts auf dem Tisch.«

Die mit Großbritannien vereinbarte Übergangsphase bis mindestens Ende 2020 sei mit dem Austrittsabkommen verknüpft, bekräftigte Schinas. In der geplanten Übergangszeit nach dem für 29. März angekündigten britischen EU-Austritt soll sich für Bürger und Unternehmen zunächst nichts ändern. Damit sollen wirtschaftliche Turbulenzen kurz nach dem Brexit vermieden werden.

Auch die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, schließt Nachverhandlungen zum Brexit-Vertrag weiterhin aus. Als Begründung sagte sie am Dienstag dem SWR: »Weil die EU an den wichtigen Punkten nicht mehr Großbritannien entgegenkommen kann.« Sie bezog sich damit ausdrücklich auf den Backstop.

Wenn man die Regelung befriste, gebe es am Ende möglicherweise eben doch eine harte Grenze, die »auf keinen Fall« akzeptiert werden könne, sagte die Bundesjustizministerin. »Wir haben schon die erste Autobombe gesehen, die hochgegangen ist.«

In dem Bürgerkrieg in Nordirland kämpften pro-irische Katholiken unter Führung der Untergrundorganisation IRA gegen protestantische, pro-britische Loyalisten. Im Kern ging es darum, ob der zu Großbritannien gehörende Nordteil Irlands mit der Republik im Süden vereinigt werden soll. In dem drei Jahrzehnte dauernden Konflikt, der 1998 mit dem Karfreitagsabkommen beendet wurde, starben mehr als 3600 Menschen.