Paris (dpa) - Die Atommacht Frankreich fordert von Europa viel mehr Engagement bei der gemeinsamen Verteidigung und bietet Partnern einen größeren Einblick in ihre nationale nukleare Abschreckung an.
»Unsere Sicherheit beruht unvermeidlich auf einer größeren, autonomen Handlungsfähigkeit der Europäer«, sagte Präsident Emmanuel Macron am Freitag in Paris bei einer Grundsatzrede zur Verteidigungsstrategie.
Macron fordert seit langem, dass sich Europa unabhängiger von der Supermacht USA macht. Er stellte die Zusammenarbeit mit Washington aber nicht in Frage: »Frankreich ist überzeugt, dass die langfristige Sicherheit Europa auf einer starken Allianz mit den Vereinigten Staaten beruht.«
Macron hatte Ende vergangenen Jahres international Protest ausgelöst, als er der Nato den »Hirntod« bescheinigt hatte. Frankreich ist nach dem Brexit das einzige EU-Land mit eigenen Atomwaffen.
Wer wolle, könne sich an einem »strategischen Dialog« und Austausch über die Rolle der französischen nuklearen Abschreckung beteiligen und etwa auch an Übungen der französischen Kräfte beteiligt werden, sagte Macron. Ziel sei es, letztlich auch zu einer »echten strategischen Kultur der Europäer« beitragen zu können, sagte er in der prestigereichen Pariser École Militaire (Militärakademie).
Der Präsident bekannte sich zum Atomarsenal seines Landes. Frankreich stehe für einen dauerhaften Frieden und wolle die beiden Komponenten der nuklearen Abschreckung beibehalten, die traditionell mit U-Booten und Flugzeugen gewährleistet wird. In Silos verbunkerte Atomraketen hat Frankreich abgeschafft. Macron warnte Staaten, lebenswichtige Interessen Frankreichs anzugreifen. Das Land habe die Fähigkeit, große Schäden in feindlichen Machtzentren anzurichten.
Der 42-Jährige machte auch deutlich, dass Frankreich die Kontrolle über seine Atomwaffen nicht aufgeben werde. Das Land werde auch in Zukunft bei der Nuklearen Planungsgruppe der Militärallianz Nato außen vor bleiben. 2009 war Frankreich nach jahrelanger Abwesenheit zwar in die integrierte Kommandostruktur des mächtigen Militärbündnisses zurückgekehrt, nahm aber nicht in der Nuklearen Planungsgruppe teil.
Macron sprach sich nun erneut für die Einbindung der Europäer in Verhandlungen über einen künftigen INF-Vertrag über ein Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen aus. Europa könne mit Blick auf die Rüstungskontrolle nicht nur eine Zuschauerrolle einnehmen. Es brauche daher eine gemeinsame Strategie.
Der Präsident zeigte sich enttäuscht, dass Europa seine Verteidigungsanstrengungen zurückgefahren habe und stattdessen komplizierte Debatten über die Finanzierung führe. »Ist das, weil die Verteidigung nur eine Nebenrolle spielt oder etwas ist, was andere für uns erledigen sollen?«, fragte er. »Warum gibt es solche Diskrepanzen zwischen den Verteidigungsbudgets und den Fähigkeiten der europäischen Staaten, wenn die Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, so groß sind?«
Europa und Frankreich hätten »eine historische Rolle« zu spielen und müssten sich an den Bedrohungen von heute und morgen orientieren. »Die Europäer müssen zunächst und vor allem gemeinsam festlegen, was ihre Sicherheitsinteressen sind, und in souveräner Weise entscheiden, was gut für Europa ist«, sagte der Präsident. In den letzten Jahren seien die militärischen, politischen, wirtschaftlichen oder technologischen Gleichgewichte weitgehend in Frage gestellt worden. »Wir sehen jetzt den Anbruch einer neuen Ära.« Risiken und Bedrohungen hätten zugenommen. Macron wird Ende kommender Woche bei der Münchener Sicherheitskonferenz erwartet.
Ziel Macrons sei explizit nicht, dass sich Deutschland oder andere Partner eigene Atomwaffen zulegen müssten, hieß es aus Macrons Umfeld. Vor seinem Auftritt lehnte Paris bereits den Vorstoß aus der Berliner Unionsfraktion ab, seine Abschreckung mit Atomwaffen unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der Nato zu stellen.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte am Mittwoch in Straßburg gesagt, Deutschland stehe unter dem Nuklearschirm der Nato, der insbesondere von den USA bereitgestellt werde. Sie bezeichnete es zudem als nicht sehr realistisch, dass Deutschland die Herstellung von Atomwaffen angehen könnte.
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul forderte die Europäer auf, das Angebot umgehend aufzugreifen. Das Dialogangebot müsse der erste Schritt in Richtung einer Integration der französischen nuklearen Abschreckung in die europäische Verteidigung sein. Wadephul hatte dies schon Anfang der Woche vorgeschlagen. Frankreich lehnt es allerdings ab, seine militärische Abschreckung mit Atomwaffen unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der Nato zu stellen
Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff, lobte den Vorstoß. »Macron hat recht: Es ist überfällig, dass sich Europa aktiv für den Erhalt der nuklearen Rüstungskontrolle einsetzt«, erklärte er. Frankreich habe die Struktur und Funktionsweise europäischer Verteidigungspolitik im Gegensatz zur Bundesregierung verstanden.
Die Linke-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen erklärte dagegen, dass Macrons Pläne eine Gefahr seien. »Die Bundesregierung muss die friedensgefährdenden Pläne des französischen Präsidenten zurückweisen«, forderte sie. »Statt neuer Atomschirme oder einer neuen nuklearen Teilhabe brauchen wir endlich atomare Abrüstung in Europa.«
Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger betonte, dass es nicht helfe, »die gefährliche und falsche Logik der atomaren Abschreckung auf die europäische Ebene zu heben«. Deutschland solle sich an keiner Nuklearstrategie beteiligen. SPD-Fraktionsvize Gabriela Heinrich fragte: »Wie sollte sich Deutschland glaubwürdig gegen die nuklearen Ambitionen anderer Länder einsetzen, wenn es Teil einer neuen europäischen nuklearen Abschreckungsinitiative wird.«
Befürworter einer atomaren Abschreckung argumentieren, dass ein gegnerischer Angriff durch das Drohen mit Atomwaffen verhindert werden könne. Die gegenseitige Androhung der Vernichtung verhindere Krieg und sichere den Frieden. Derzeit modernisieren die beiden großen Atommächte USA und Russland ihre Kernwaffen und Länder wie China und Nordkorea bauen ihre Arsenale aus.