Die Linksfraktion im Bundestag hat ihren Richtungsstreit vorerst entschärft. »Es ist zumindest heute sehr klar geworden, dass diese Partei, diese Fraktion zusammenbleiben will«, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte am Dienstag nach einer Fraktionssitzung. Ein Antrag zur Maßregelung der Abgeordneten Sahra Wagenknecht nach einer umstrittenen Bundestagsrede wurde zurückgezogen. Stattdessen einigte man sich auf einen Kompromiss, dass Abgeordnete bei Reden im Namen der Fraktion deren Linie vertreten müssen.
Wagenknecht hatte mit einer Bundestagsrede auch intern heftige Kritik ausgelöst. Sie warf darin der Bundesregierung vor, einen Wirtschaftskrieg »vom Zaun zu brechen«, und forderte ein Ende der wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen gegen Russland. Wagenknecht wurde intern vorgeworfen, Ursache und Wirkung zu vertauschen und sich nicht an die Parteilinie zu halten, die den Ukraine-Krieg klar verurteilt und viele Sanktionen mitträgt.
Acht Abgeordnete hatten den Antrag gestellt, solche Auftritte künftig zu verhindern und Abgeordnete auf die Beschlüsse der Partei zu verpflichten. Sie hatten dabei Wagenknecht genannt. Als keine Mehrheit in Sicht war, zogen die Antragsteller dies zurück. Die Fraktionsspitze konterte mit einem Kompromissvorschlag, der einige Formulierungen aufgreift, der aber Wagenknecht nicht mehr nennt. Damit zeigte sich letztlich eine Mehrheit zufrieden.
Mohamed Ali: Parteiaustritte bedauerlich
Der frühere Parteichef Bernd Riexinger, einer der acht Antragsteller, sagte der Deutschen Presse-Agentur, man habe »eine ganz gute Grundlage für die Fraktionsarbeit gefunden«. Er fügte aber hinzu: »Das muss jetzt erstmal von allen gelebt werden.«
Vor der Sitzung hatte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali vor einer Spaltung ihrer Fraktion und Partei gewarnt. Diese herbeizureden, sei unverantwortlich, sagte sie. Sie bedauere die Austritte prominenter Mitglieder aus der Linken. »Das ist eine Situation, die hochbrisant ist, und mit der wir umgehen müssen.«
Sie sehe es als ihre Verantwortung als Fraktionsvorsitzende, die Fraktion zusammenzuhalten, sagte Mohamed Ali - fügte aber hinzu: »Nun sind wir eine komplizierte Partei, das sind wir immer schon gewesen, und wenn ich eine Formel dafür hätte, wie man dafür sorgt, dass jetzt nur noch Dinge geschehen, die uns in Einigkeit erstrahlen lassen, hätte ich es schon gemacht. Habe ich aber leider nicht.«
Ob der Grundsatzkonflikt in Partei und Fraktion beigelegt ist, ist jedoch fraglich. Wagenknecht hatte sich schon in der Vergangenheit immer wieder von der Fraktionslinie abgesetzt, unter anderem in der Migrations- und der Corona-Politik. Nach der umstrittenen Bundestagsrede hatten Parteimitglieder Unterschriften für ihren Ausschluss aus der Fraktion und für den Rücktritt der Fraktionsspitze gesammelt.
Am Dienstag machten neun Landesvorsitzende der Linken in einem Schreiben an die Bundestagsfraktion noch einmal ihren Unmut über Wagenknechts Rede deutlich. Deren »Ursachen-Wirkungs-Umkehr« rufe entschiedenen Widerstand aus der Partei hervor. »Es schadet uns als Partei, wenn wir in öffentlichen Reden nicht nur widersprüchlich sind, sondern sogar abseitigen Interpretationen der Wirklichkeit eine Bühne bieten«, heißt es in dem Schreiben, das den Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler den Rücken stärkt.
Und weiter: »Die Mitglieder sind es leid, immer wieder mit innerparteilichem Streit in der Öffentlichkeit zu stehen. Es konterkariert unser Bemühen, die Partei zusammenzuhalten und zurück in die politische Offensive zu kommen.« Inhalte dürften nicht »in lauten, öffentlichen Selbstdarstellungen« untergehen.
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