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Plötzlich Kampfgeist: Wissler begeistert Linken-Parteitag

Niedergeschlagen kamen die Delegierten der Linken zu ihrem Parteitag nach Erfurt. Die Vorsitzende Wissler galt als angezählt. Aber irgendwie sah plötzlich alles etwas optimistischer aus.

Bundesparteitag Die Linke
Janine Wissler (Die Linke), Parteivorsitzende, gibt ein Statement vor Beginn des Bundesparteitag der Messe Erfurt. Foto: Martin Schutt
Janine Wissler (Die Linke), Parteivorsitzende, gibt ein Statement vor Beginn des Bundesparteitag der Messe Erfurt.
Foto: Martin Schutt

Linken-Chefin Janine Wissler wirkte nervös und angespannt nach den wochenlangen Debatten um die Zukunft ihrer Partei. Doch der Bundesparteitag empfing die Vorsitzende am Freitag in der Messe Erfurt mit geradezu überbordendem Applaus.

Wissler verschlug es erst die Sprache. Dann redete sie sich in Rage. Gegen Ungerechtigkeit in Deutschland, gegen die Politik der Ampel, gegen den Krieg in der Ukraine, gegen die Klimakrise. Und gegen die ständigen Streitigkeiten in der eigenen Partei. »Lasst uns mehr Sozialismus wagen«, rief sie am Ende. Und erntete Jubel.

Das war nicht unbedingt zu erwarten nach wochenlangem Katzenjammer bei den Linken. Wegen Wahlniederlagen, öffentlichem Zwist und Sexismusvorwürfen steckt die Partei in einer tiefen Krise. Wisslers Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow war entnervt zurückgetreten. Die rund 570 Delegierten tagen bis Sonntag, um eine neue Parteispitze zu wählen und inhaltliche Streitpunkte zu klären. Wissler selbst ist nicht unumstritten - die Wahlniederlagen werden ihr angelastet. Noch während der Rede am Freitag sagte sie: »Ich habe mit weniger Applaus gerechnet, das gebe ich ehrlich zu.« Doch schien sie die Genossen mitzureißen.

Breitseite gegen Wagenknecht

Dabei grenzte Wissler die Linke klar vom früher Russland-freundlichen Kurs ab - eine Breitseite gegen die ehemalige Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Zum Ukraine-Krieg sagte die Parteichefin: »Die russische Führung trägt die Verantwortung für diese Eskalation. Der verbrecherische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen.«

Zugleich plädierte Wissler - auch das anders als Wagenknecht - für eine konsequente Klimawende mit sozialer Absicherung. Die Ampel werde es nicht hinbekommen. »Die drohende Klimakatastrophe erfordert ein demokratisches Eingreifen in die Wirtschaft«, sagte Wissler. »Wir brauchen das größte Investitionsprogramm aller Zeiten.« Das solle anstelle des 100-Milliarden-Programms für die Bundeswehr treten, das die Linke ablehne.

Von ihrer Partei forderte sie Einigkeit und ein geschlossenes Auftreten nach außen hin. Die Linke dürfe keine widersprüchlichen Signale senden. »Linke Politik muss provozieren, polarisieren und zuspitzen, immer entlang von «oben» und «unten» und niemals von «unten» nach «noch weiter unten»«, rief die Vorsitzende.

Vorwürfe offensiv angesprochen

Punkte sammelte Wissler offenkundig, indem sie die Sexismusvorwürfe in ihrem eigenen hessischen Landesverband offensiv ansprach und als Schwäche der Partei bezeichnete. »Bei allen Frauen, denen wir bisher nichts oder wenig anbieten konnten, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen«, sagte sie. Sie kündigte am Rande des Parteitags neue Sanktionsmöglichkeiten gegen Mitglieder der Partei an, die sich Übergriffen schuldig machen.

Von Wisslers Kampfgeist zeigte sich der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow beeindruckt - er gratulierte und las dann seiner Partei seinerseits die Leviten. »Die Linke hat nicht das Recht, sich mit sich selbst zu beschäftigen«, sagte Ramelow. Die Linke regiere immerhin in vier Landesregierung mit - in Thüringen, Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Ramelow sagte, es könne nicht sein, dass sie sich verrückt mache und Zeit verschwende, statt für soziale Belange der Menschen zu streiten.

Die Partei hat nach eigenen Angaben 60.000 Mitglieder. Die Diskussion über die intern sehr umstrittene Haltung zu Russland und dem Ukraine-Kriege wird für Samstag erwartet - ebenso wie die Vorstandswahl. Chancen für die neue Doppelspitze werden neben Wissler dem Europapolitiker Martin Schirdewan sowie den Bundestagsabgeordneten Heidi Reichinnek und Sören Pellmann gegeben.

© dpa-infocom, dpa:220623-99-778189/4