Die Spitze der Linkspartei will sich als Konsequenz aus dem Rücktritt der Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow bei einem Parteitag Ende Juni vorzeitig komplett neu aufstellen.
Das habe der Vorstand bei einer Sitzung in Berlin beschlossen, teilt ein Linke-Sprecher mit. »Angesichts der schwierigen Lage der Partei sind wir überzeugt, dass der Parteivorstand ein neues Mandat des Parteitages benötigt«, heißt es in dem nach Parteiangaben mit großer Mehrheit bei zwei Gegenstimmen verabschiedeten Beschluss.
Parteitag Ende Juni in Erfurt
Der Parteitag vom 24. bis 26. Juni in Erfurt war ursprünglich nicht als Wahl-, sondern als Programmkonvent geplant. Regulär hätte die Linke erst im Februar 2023 eine neue Spitze wählen müssen. Hennig-Wellsows Co-Vorsitzende Janine Wissler führt die Partei bis zu dem Delegiertentreffen alleine weiter.
Auf dem Parteitag soll nach dem Beschluss in einem gesonderten Themenblock über Sexismus debattiert werden. Zudem wird vorgeschlagen, dass die Delegierten eine Reform der Parteistrukturen einleiten. Diese solle klare Entscheidungsstrukturen und eine bessere Zusammenarbeit von Gremien, Landesverbänden und Fraktionen bringen.
Auch Diskussion über Russland
Auf dem Parteitag stünden zudem wichtige inhaltliche Klärungen zum sozial-ökologischen Umbau und zur Außen- und Friedenspolitik angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine an. Zu beiden Themen soll es Leitanträge geben.
Hennig-Wellsow hatte am Mittwoch 14 Monate nach dem gemeinsamen Amtsantritt mit Wissler ihren sofortigen Rücktritt erklärt. Sie begründete dies mit unerfüllten Erwartungen bei der Erneuerung der Partei, persönlichen Motiven, aber auch mit dem Umgang der Linken mit Sexismus in den eigenen Reihen. Dieser habe »eklatante Defizite« der Partei offengelegt. Es geht um mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt in der hessischen Linkspartei.
Wissler kündigt Aufklärung an
Die aus dem hessischen Landesverband stammende Wissler kündigte vor den Beratungen des 44-köpfigen Vorstands eine umfassende Aufklärung des Sexismus-Verdachts an. Die Fälle müssten so gut wie möglich aufgearbeitet werden. Vorwürfe der Vertuschung wies sie zurück. Spekulationen über einen raschen Rückzug trat Wissler entgegen. Sie wolle die Partei zusammen mit dem gesamten Vorstand durch die schwierige Zeit führen und den Parteitag Ende Juni vorbereiten.
In Umfragen bundesweit um Fünf-Prozent-Hürde
Vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai warb Wissler um Vertrauen. Bundesweit schwankt die Linke in Umfragen derzeit um die Fünf-Prozent-Marke.
Wissler betonte, sie weise die Unterstellung zurück, vor Ende 2021 Kenntnis über Vorwürfe sexueller Belästigung im Landesverband Hessen gehabt zu haben. Als sie von den Vorwürfen erfahren habe, habe sie den Landesvorstand sofort informiert. Die Geschäftsstelle der Bundes-Linken habe sie Mitte Januar informiert und gebeten, den Vorgang an die entsprechende Vertrauensgruppe weiterzuleiten. Sie selbst habe dies nicht tun wollen, um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen, dass sie persönlich Einfluss nehmen wolle.
Im Namen des Vorstands entschuldigte sich Wissler bei allen, die sexistische Erfahrungen bei der Linken gemacht hätten. Selbstkritisch räumte sie ein, es sei nicht ausreichend gewesen, im Oktober eine Vertrauensgruppe aus Mitgliedern des Vorstands einzurichten, um eine Anlaufstelle für Betroffene zu schaffen. Der Vorstand greife nun auf externe Hilfe zurück, um eine von innerparteilichen Interessen unabhängige Klärung zu ermöglichen.
Harte Konsequenzen für die Täter gefordert
Die künftige Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: »Die Vorwürfe, die bei der Linken erhoben werden, sind erschreckend.« Sexismus und Machtmissbrauch kämen in verschiedenen Fraktionen im Bundestag vor. Sexismus sei »ein strukturelles Problem - und das schließt den politischen Betrieb mit ein«. Paus forderte eine Ächtung der Täter, Präventionsstrukturen und harte Konsequenzen: »Wer Macht auf diese Weise missbraucht und sexuelle Gewalt ausübt, ist meiner Einschätzung nach nicht geeignet, weiter politisch Verantwortung zu tragen.«
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