Israels Ministerpräsident Jair Lapid hat Bundeskanzler Olaf Scholz für seine Reaktion auf den von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ausgelösten Holocaust-Eklat gelobt. Es sei offensichtlich gewesen, dass Scholz von den Abbas-Äußerungen überrascht worden sei, sagte Lapid am Montag nach einem Treffen mit Scholz in Berlin. »Ich habe dem Bundeskanzler gedankt, dass er danach reagiert hat auf das, was Abbas gesagt hat.« Lapid fügte an: »Wir schätzen, dass er das so eindeutig gesagt hat.«
Abbas hatte bei einer Pressekonferenz mit Scholz im August Israel einen vielfachen Holocaust an den Palästinensern vorgeworfen. Er sagte: »Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen. 50 Massaker, 50 Holocausts.« Der Kanzler erwiderte in der Pressekonferenz nichts darauf und distanzierte sich erst später deutlich. Das wurde von vielen als zu spät kritisiert.
Scholz sagte, es sei zentral, dass solche Äußerungen nicht mehr gemacht werden. Darauf werde man weiter bestehen. Jede Relativierung des Holocaust sei inakzeptabel. »Sie ist auch ein Verbrechen gegenüber den Opfern der Schoah, die so viel Leid erfahren haben.«
Die Äußerungen von Abbas gelten als die schlimmste verbale Entgleisung, die es im Kanzleramt je gegeben hat.
Israel und Deutschland rücken näher zusammen
Es war der erste Besuch Lapids in Berlin als Ministerpräsident. Er habe mit Scholz die letzten Details eines strategischen Partnerschaftsabkommens zwischen Israel und Deutschland besprochen, sagte Lapid. Zuvor war er mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zusammengekommen.
Die Zusammenarbeit habe wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vorteile, sagte Lapid und verwies auf ein Treffen von Sicherheitsvertretern beider Länder vergangene Woche in Jerusalem. Das Format war beim Besuch von Scholz in Israel im März vereinbart worden. Am Sonntag unterzeichneten Deutschland und Israel zudem eine Absichtserklärung zur Schaffung eines lange geplanten Jugendwerks.
Aber auch militärisch soll enger zusammengearbeitet werden. »Israel wird seinerseits eine Rolle beim Aufbau der neuen deutschen Verteidigungskräfte spielen, vor allem im Bereich der Luftverteidigung«, teilte Lapid mit. Scholz betonte, die russische Aggression habe auch für die Verteidigung Deutschlands eine Zeitenwende eingeleitet. »Dabei wollen wir auch sehr gerne mit Israel zusammenarbeiten, etwa im Bereich der Luftverteidigung, wo Israel mit dem Arrow 3 System über ein sehr leistungsfähiges Angebot verfügt.«
Gaslieferungen aus Israel
Israel will darüber hinaus auch zur Linderung der Energiekrise in Europa beitragen. »Wir können vielleicht Gasexporte nach Europa erhöhen, hoffentlich wird das nächstes Jahr möglich sein«, sagte Lapid. Israel könne aktuell etwa zehn Prozent des russischen Gases ersetzen.
Israel und Ägypten hatten im Juni in Kairo im Beisein von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Absichtserklärung über die Lieferung von verflüssigtem Gas nach Europa unterzeichnet. Israel soll demnach Gas ins benachbarte Ägypten liefern, das dort verflüssigt und mit Tankern nach Europa exportiert werden soll.
Treffen mit Zeitzeugen
Der israelische Regierungschef war am Sonntagabend in Begleitung von mehreren Holocaust-Überlebenden in Berlin angekommen. »Als wir gemeinsam aus dem Flugzeug stiegen und deutschen Boden betraten, wurden wir von einer deutschen Militär-Ehrengarde begrüßt«, sagte Lapid nach der Ankunft. »Das ist ihr Sieg, meiner als Sohn eines Holocaust-Überlebenden und unserer als Volk und Nation. Wir werden niemals vergessen.« Am Montag besuchten sie gemeinsam mit Scholz die Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz. Dort waren im Jahr 1942 ranghohe Nationalsozialisten zusammengekommen, um die massenhafte Ermordung der Juden zu planen.
»Der Ort mahnt uns in besonderer Weise, die Erinnerung an die Opfer der Schoah und die Grauen dieses Menschheitsverbrechens aufrecht zu erhalten«, sagte Scholz. Sie würden nicht vergessen werden. An Lapid gewandt sagte Scholz: »Du kannst dich darauf verlassen: Deutschland steht fest an der Seite des Staates Israel, Israel als enger Freund und Partner.«
Lapid will alternative Iran-Strategie
Lapid sprach sich auch für eine alternative Strategie zur Verhinderung einer nuklearen Bewaffnung des Irans aus. »Es ist an der Zeit, die gescheiterten Verhandlungen mit dem Iran hinter sich zu lassen«, sagte er. Er habe Scholz zu diesem Thema »sensible und relevante nachrichtendienstliche Informationen« vorgelegt.
Israel will eine Wiederbelebung des internationalen Atomabkommens von 2015 mit dem Iran unbedingt verhindern. Das Land hält das Abkommen, mit dem der Iran an der Entwicklung einer Atombombe gehindert werden soll, für unzureichend. Deutschland ist eines der Länder, das sich für eine Rückkehr einsetzt. Die USA hatten das Abkommen 2018 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump verlassen. Teheran hat stets betont, nicht wie vom Westen und Israel befürchtet nach Atomwaffen zu streben, sondern Uran nur für Atomkraftwerke und für wissenschaftliche und industrielle Zwecke zu verwenden.
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