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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Der ukrainische Staatschef sieht eine strategische Niederlage Moskaus. Sein Berater erkennt bei vielen Handlungen gar eine »schreckliche Idiotie« der Führung Russlands. Die Entwicklungen im Überblick.

Wolodymyr Selenskyj in Kiew
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, verleiht Medaillen an medizinisches Personal in Kiew. Foto: Sarsenov Daniiar
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, verleiht Medaillen an medizinisches Personal in Kiew.
Foto: Sarsenov Daniiar

Knapp zweieinhalb Monate nach der Invasion russischer Truppen in die Ukraine ist die strategische Niederlage Russlands nach Ansicht des ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj »offensichtlich«.

Die Niederlage Moskaus sei »für jeden auf der Welt offensichtlich und auch für diejenigen, die immer noch mit ihnen (den Russen) kommunizieren«, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. Nur habe Russland nicht den Mut, die Niederlage einzugestehen. »Sie sind Feiglinge und versuchen, diese Wahrheit hinter neuen Raketen-, Luft- und Artillerieangriffen zu verbergen.«

Selenskyj kritisiert russische Angriffe auf Schulen

Der ukrainische Staatschef kritisierte die jüngsten russischen Angriffe, bei denen in Tschernihiw im Norden des Landes eine Schule getroffen worden war. »Natürlich ist der russische Staat in einem Zustand, in dem ihn jede Bildung nur behindert«, sagte Selenskyj. Russische Kommandeure, die derartige Befehle zum Beschuss von Bildungseinrichtungen erteilten, seien »einfach krank - unheilbar«.

Daneben seien in der Ukraine seit Kriegsbeginn bereits 570 Gesundheitseinrichtungen durch russische Angriffe zerstört worden, darunter 101 Krankenhäuser. »Was bringt das?«, fragte Selenskyj. »Das ist Unsinn, das ist Barbarei.« Dies sei für ihn ein Zeichen der Selbstzerstörung Russlands.

Selenskyj-Berater unterstellt russischer Führung »Idiotie«

Selenskyjs Berater Olexij Arestowytsch führt seine gelegentlich falschen Analysen des Kriegsgeschehens auf »schreckliche Idiotie« der politischen und militärischen Führung Russlands zurück.

»Ich halte sie eigentlich für Menschen mit einem durchschnittlichen Verstand«, sagte der Berater von Selenskyj nach einem Bericht der Agentur Unian. »Aber dann unternehmen sie etwas, das mir nie in den Sinn gekommen wäre, weil es so dumm ist.«

Russland habe zuletzt weitere 15 Kampfeinheiten »zusammengekratzt«, um sie in den Kampf zu werfen. »In den vergangenen fünfeinhalbtausend Jahren Militärgeschichte lässt sich keine größere Idiotie finden«, sagte Arestowytsch. Zuletzt hatte er eine neue Offensive der russischen Armee gegen die ukrainische Hauptstadt Kiew nicht ausgeschlossen und von »sinnlosem Selbstmord« gesprochen.

Verhandlungen um Azovstal-Verteidiger schwierig

Die Verhandlungen um einen möglichen freien Abzug oder Teilabzug der im Werk Azovstal in Mariupol eingekesselten ukrainischen Soldaten gestalten sich nach Darstellung Kiews »äußerst schwierig«. Das sagte die für die Gespräche zuständige ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Freitag, wie die Agentur Unian berichtete. »Ich teile die Angst und Sorge der Menschen, die den Verteidigern der Festung nahestehen«, sagte sie. Doch es herrsche Krieg. »Und im Krieg geschehen keine Wunder, es gibt nur bittere Realitäten.« Daher helfe in diesem Fall nur ein »nüchternes und pragmatisches Herangehen«.

Wereschtschuk bemüht sich seit Tagen mit Hilfe der UN und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, mit der russischen Seite über einen möglichen Ausweg für die im Stahlwerk der Hafenstadt Mariupol verschanzten ukrainischen Truppen zu sprechen. »Aber die Verhandlungen mit dem Feind sind äußerst schwierig«, sagte sie. »Möglicherweise wird der Ausgang nicht alle zufriedenstellen.« Dennoch werde alles getan, um die Soldaten zu retten.

Russische Raketen treffen Raffinerie in Krementschuk

Die Industriestadt Krementschuk in der Zentralukraine ist nach ukrainischen Angaben am Donnerstag von einer Serie russischer Raketen getroffen worden.

Beim bisher größten Angriff auf die Stadt seit Kriegsbeginn vor zweieinhalb Monaten sei auch eine Raffinerie beschädigt worden, sagte der regionale Militärchef Dmitrij Lunin nach Angaben der Agentur Unian.

US-Minister spricht nach Funkstille mit russischem Kollegen

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit seinem Amtskollegen aus Russland. Das Gespräch mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe nach wochenlanger Funkstille am Freitag stattgefunden, teilte das Pentagon mit. Zuletzt hätten die beiden Minister sich am 18. Februar ausgetauscht. Austin habe nun in dem Gespräch auf einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine gedrängt und die Bedeutung der Aufrechterhaltung der Kommunikation betont, hieß es weiter aus dem US-Verteidigungsministerium.

Ukrainisches Crowdfunding-Projekt bringt Millionen ein

Ein von der ukrainischen Führung ins Leben gerufenes Crowdfunding-Projekt zur Unterstützung des Landes brachte derweil innerhalb einer Woche bereits Millionen ein. Wie Digitalminister Mychajlo Fjodorow mitteilte, seien Spenden von 25,8 Millionen Dollar (24,4 Mio Euro) über die Website United24 eingegangen.

»Die Unterstützung kam aus 72 Länder der Welt.« Das Geld werde nun unter den Ministerien aufgeteilt, um die aktuell notwendigsten Projekte zu finanzieren. Die Ukraine hat diese staatliche Spendenplattform wegen des russischen Angriffskriegs geschaffen.

Weitere 500 Millionen Euro von der EU

Die EU will weitere 500 Millionen Euro für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung stellen. Das kündigte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag am Rande des G7-Außenministertreffens nahe dem Weißenhäuser Strand an der Ostsee an.Ukraine nationalisiert Filialen russischer Banken

In der Ukraine werden mit sofortiger Wirkung alle Filialen der russischen Sberbank und der VEB.RF, der ehemaligen Wnjeschekonombank, verstaatlicht. Das beschloss das Parlament in Kiew, wie Präsidentensprecher Andryj Jermak nach Angaben der Online-Zeitung »Dumskaja« mitteilte.

Nunmehr werden alle Gesellschafterrechte der betroffenen Banken sowie deren Einlagen bei anderen ukrainischen Finanzinstituten in Staatseigentum überführt.

Erster ukrainischer Prozess wegen Kriegsverbrechen

In der Ukraine soll der erste Prozess wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen einen russischen Soldaten kommende Woche beginnen. Nach ukrainischen Medienberichten wurde die Verhandlung am Freitag von einem Gericht in der Hauptstadt Kiew auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf kommenden Mittwoch verlegt, damit sie öffentlich zugänglich ist. Dem Soldaten wurden demnach ein Pflichtverteidiger und ein Übersetzer gestellt.

Dem 21-Jährigen wird vorgeworfen, im Gebiet Sumy im Nordosten der Ukraine einen 62-Jährigen erschossen zu haben, weil er telefonierte. Zuvor hatten die Soldaten ein Auto von Zivilisten requiriert, da ihr eigenes Fahrzeug zerstört worden war. Die Vorgänge waren von dem Verdächtigen in einem vom Geheimdienst SBU veröffentlichten Videogeständnis geschildert worden. Eine Verurteilung gilt demnach als sicher. Dem Mann droht eine lebenslange Haft.

© dpa-infocom, dpa:220513-99-267968/6