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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Was genau ist los an Europas größtem Atommeiler im ukrainischen Kriegsgebiet? Seit Wochen herrscht Wirrwarr, jetzt sorgt eine Notabschaltung für zusätzliche Unruhe. Die News im Überblick.

AKW
Ein Stromerzeugungsblock im Kernkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine. Foto: Olexander Prokopenko
Ein Stromerzeugungsblock im Kernkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine.
Foto: Olexander Prokopenko

Nach einem Notfall im russisch besetzten Atomkraftwerk Saporischschja fordert die Ukraine dringend Aufklärung durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA. Dies verlangte am Freitag auch die Bundesregierung und nannte die Lage am größten Kernkraftwerk Europas sehr gefährlich. Nach russischer Darstellung könnte eine IAEA-Mission nächste Woche beginnen. Ob diese Ankündigung belastbar ist, blieb unklar.

Berlin verurteilte zudem den russischen Angriff auf einen ukrainischen Personenzug am Mittwoch in der Ortschaft Tschaplyne und appellierte an Moskau, Attacken gegen zivile Ziele zu stoppen. »Wir sind schockiert angesichts der Vielzahl an zivilen Opfern, unter ihnen mehrere Kinder«, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. »Dutzende weitere Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer.« Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Russland hatte den Raketenangriff bestätigt und erklärt, dabei seien 200 ukrainische Soldaten getötet worden. Die Ukraine sprach von 25 Toten, unter ihnen zwei Kinder. Der Angriff kam am Mittwoch am 31. Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeit von der Sowjetunion - genau ein halbes Jahr nach dem russischen Einmarsch vom 24. Februar.

Ukraine kontrolliert noch große Teile des Donbass

In den Kriegsgebieten im Osten und Süden der Ukraine scheint sich militärisch wenig zu bewegen. Der ukrainische Militärgouverneur Pawlo Kyrylenko sagte beim TV-Sender Nastojaschtscheje Wremja, die Ukraine habe 45 Prozent des umkämpften Donezker Gebiets unter Kontrolle. Dort hielten sich noch 350.000 Menschen auf. Vor dem russischen Einmarsch kontrollierte die Ukraine demnach etwa zwei Drittel des Gebiets mit rund 1,67 Millionen Einwohnern. Russland hat das ostukrainische Gebiet Luhansk komplett erobert. Dazu stehen weite Teile der Gebiete Charkiw, Donezk, Saporischschja und Cherson in der Ost- und Südukraine unter russischer Kontrolle.

Lage am Kraftwerk Saporischschja verworren

Sorge bereitet vor allem die Lage am Atomkraftwerk Saporischschja. Russische Truppen halten es seit März besetzt. Es gibt immer wieder Beschuss, für den sich beide Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich machen. Am Donnerstag kam es zu einem Notfall, der in umliegenden Regionen zu Stromausfällen führte.

Nach Kiewer Darstellung wurde das AKW nach russischem Beschuss zeitweise komplett vom regulären ukrainischen Stromnetz abgeklemmt und nur noch über eine Notleitung mit Elektrizität versorgt. Zwei Reaktorblöcke seien notabgeschaltet worden. Die russische Besatzungsverwaltung bestätigte die zeitweilige Abschaltung beider Reaktoren, machte aber die ukrainische Armee für die Angriffe verantwortlich. Am Freitagnachmittag war einer der beiden notabgeschalteten Blöcke nach Angaben beider Seiten wieder am Netz. Wie der staatliche Betreiber Enerhoatom in der Ukraine am Abend im Nachrichtendienst Telegram mitteilte, ist auch der zweite Reaktorblock wieder am Netz.

IAEA-Mission in den nächsten Tagen?

Vertreter der Atomenergiebehörde IAEA und der Vereinten Nationen sollten bei einem Besuch in Saporischschja nukleare Sicherheitsstandards untersuchen, schrieb der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko auf Facebook. Er forderte den kompletten Rückzug der russischen Truppen vom AKW-Gelände. Ähnlich hatte sich zuvor der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenkskyj geäußert.

IAEA-Direktor Rafael Grossi bekräftigte seine Bereitschaft, in den kommenden Tagen mit Experten nach Saporischschja zu fahren. Bislang ist eine solche Mission im Streit über Reisemodalitäten nicht zustande gekommen. Nun erklärte der russische Vertreter bei der IAEA, Michail Uljanow: »Es laufen aktive Vorbereitungen für einen Besuch.« Ein russischer Diplomat bei den Vereinten Nationen nannte als möglichen Termin Ende August oder Anfang September.

Scholz verspricht besonnene Ukraine-Hilfe

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte in den vergangenen Tagen immer wieder versichert, dass Deutschland die Ukraine weiter auch mit Waffen unterstützen werde. Zugleich wolle man eine Eskalation des Kriegs verhindern, sagte Scholz am Donnerstag in Magdeburg. »Und da können Sie sich darauf verlassen, dass wir immer die Besonnenheit, die Klarheit und die Festigkeit besitzen werden, entlang dieses Prinzips zu entscheiden.«

Grünen-Politiker Anton Hofreiter forderte, vermehrt schwere Waffen aus Bundeswehrbeständen zu liefern. »Für die Bundeswehr ist es keine Katastrophe, wenn sie die Waffen dann nächstes oder übernächstes Jahr ersetzt kriegt«, sagte Hofreiter bei RTL/ntv.

Wegen der Waffenlieferungen und der Ausbildung ukrainischer Soldaten an den Systemen ist nach Erkenntnissen des Militärischen Abschirmdiensts auch das Interesse russischer Spione an Deutschland gewachsen. Wenn eine Drohne über ein Munitionslager oder eine Ausbildungsstätte fliege, müssten Möglichkeiten der Spionage und Sabotage genau geprüft werden, sagte MAD-Präsidentin Martina Rosenberg dem Bundeswehr-Format »Nachgefragt«. Von Verdachtsfällen an den Militärstandorten Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz und Grafenwöhr in Bayern berichtete der »Spiegel«.

Die Deutschen sparen

In Deutschland wächst wegen der hohen Energiepreise der Druck auf die Regierung. Streitpunkt ist vor allem die Gasumlage. Diese soll Energieimporteuren bei Mehrkosten für den Ersatz russischen Gases helfen, belastet die Verbraucher aber mit Milliardensummen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will profitablen Firmen - sogenannten Trittbrettfahrern - den Zugang zur Gasumlage erschweren, wie er am Freitag ankündigte.

Wegen der hohen Energie- und Lebensmittelpreise sparen inzwischen viele in Deutschland bei anderen Ausgaben. In einer Umfrage für den Bundesverband deutscher Banken sagten 19 Prozent von rund 1300 Teilnehmern, sich »sehr einschränken« zu müssen. Weitere 53 Prozent antworteten, sie müssten sich »etwas einschränken«. Weil an allen Ecken und Enden gespart wird, ist das Konsumklima auf ein Rekordtief gesunken, wie das Nürnberger Forschungsunternehmen GfK mitteilte.

© dpa-infocom, dpa:220826-99-519333/11