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Aktuell Ausland

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Moskau meldet erhebliche Verluste der Ukraine. Selenskyj bezeichnet Russland als »Terrorstaat«. Es wird über die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen beraten. Die aktuellen Entwicklungen:

Charkiw
Ein Ermittler auf einem Grundstück in Charkiw, das bei Kämpfen verwüstet wurde. Foto: Carol Guzy
Ein Ermittler auf einem Grundstück in Charkiw, das bei Kämpfen verwüstet wurde.
Foto: Carol Guzy

Bei russischen Raketenangriffen sind in der Ukraine erneut zahlreiche Zivilisten und Soldaten getötet worden. Im Zentrum der Großstadt Winnyzja ist Behördenangaben zufolge ein Bürozentrum getroffen worden.

Mindestens 20 Menschen seien ums Leben gekommen, weitere 90 seien verletzt worden, teilte der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, am Donnerstag mit. Die jüngsten Luftschläge haben laut Moskau die Ukrainer bis zu 1000 Soldaten und mehr als 100 Militärfahrzeuge und Waffensysteme gekostet. Kiew seinerseits startete erneut vereinzelte Gegenangriffe zur Rückeroberung von Gebieten. In Den Haag begannen die Beratungen über eine strafrechtliche Ahndung möglicher russischer Kriegsverbrechen.

Selenskyi spricht von einem »terroristischem Akt«

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte auf den Raketenangriff umgehend: »Was ist das, wenn nicht ein offener terroristischer Akt?«, schrieb er im Nachrichtendienst Telegram. Russland töte jeden Tag Zivilisten. »Unmenschen. Mörderstaat. Terrorstaat«, schrieb Selenskyj. Russland betont seit dem Einmarsch in die Ukraine immer wieder, im Nachbarland nur militärische Ziele anzugreifen. Auch die südukrainische Hafenstadt Mykolajiw wurde in der Nacht erneut mit Raketen beschossen. Von den insgesamt neun Raketen seien etwa ein Hotel und mindestens eine Schule getroffen worden. In einem am Samstag zerstörten Wohnhaus in Tschassiw Jar wurden den Behörden zufolge insgesamt 48 Leichen geborgen.

»Kein anderer Staat in der Welt stellt eine solche terroristische Gefahr dar wie Russland«, sagte Selenskyj in seiner am Donnerstagabend veröffentlichten Videoansprache zum 141. Tag des Krieges. Und kein anderes Land auf der Welt nehme sich heraus, jeden Tag mit seinen Raketen und seiner Artillerie »friedliche Städte und alltägliches menschliches Lebens« zu vernichten.

Mit einem Raketenangriff seien am Donnerstag in Winnyzja 23 Menschen getötet worden, darunter drei Kinder, sagte der Staatschef. Das seien noch nicht die endgültigen Zahlen.

Im Osten der Ukraine sind die von der russischen Armee unterstützten Separatisten nach eigenen Angaben weiter auf die Kleinstadt Soledar vorgerückt. Die Dörfer Strjapiwka und Nowa Kamjanka am östlichen Stadtrand von Soledar seien eingenommen worden, teilten die Luhansker Separatisten am Donnerstagabend mit. Dabei hätten sie den ukrainischen Streitkräften erhebliche Verluste zugefügt. Bereits am Vortag meldeten sie Gebietsgewinne in der Nähe der vor dem Krieg über 10.000 Einwohner zählenden Stadt.

Ukrainische Armee beschießt Ziele rund um Cherson

Die ukrainische Armee hat eigenen Angaben zufolge erneut Ziele im von Russlands Truppen besetzten Gebiet Cherson im Süden beschossen. Dem Sprecher der Odessaer Militärverwaltung, Serhij Bratschuk, zufolge wurden in der Stadt Nowa Kachowka zwei Kommandopunkte und ein Landeplatz attackiert. Das Kommando Süd teilte in der Nacht zum Donnerstag mit, es seien 13 feindliche Soldaten getötet und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden. Das ließ sich zunächst nicht überprüfen. Nach russischen Angaben sind von den 30 Raketen viele abgefangen worden, niemand sei getötet worden. Auch mithilfe westlicher Waffen will die Ukraine Gebiete zurückerobern, die von russischen Soldaten besetzt wurden.

Lettlands Parlament verbietet Gasimporte aus Russland

Lettlands Parlament verbietet den Import von Gas aus Russland. Die Volksvertretung Saeima beschloss am Donnerstag gesetzliche Änderungen am Energiegesetz, die eine Diversifizierung der Erdgasversorgungswege und die Sicherung strategischer Erdgasreserven vorgeben. Die Regelung sieht auch ein Verbot der Lieferung von Erdgas aus Russland vor. Zuvor hatte die Regierung des baltischen EU- und Nato-Landes im April beschlossen, Gasimporte aus dem Nachbarland bis zum 1. Januar 2023 aufzugeben. 

Referendum über Beitritt von Saporischschja zu Russland geplant

Die moskautreue Verwaltung der halb von russischen Truppen besetzten Region Saporischschja im Südosten der Ukraine will Anfang September ein Referendum über den Beitritt zu Russland abhalten. Dies kündigte der Chef der Militärverwaltung, Jewgeni Balizki, am Donnerstag nach einem Bericht der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass an. Einen genauen Termin nannte er nicht. Balizki begründete die Entscheidung mit angeblichen Bitten von Arbeitskollektiven, Gewerkschaften und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Baerbock begrüßt EU-Aktionsplan für etwaigen Gas-Notstand

Außenministerin Annalena Baerbock begrüßt die Vorbereitung eines EU-Aktionsplans für den Fall eines Gas-Notstands in Europa. Es sei »sehr, sehr wichtig und richtig, dass die EU-Kommission hier Vorschläge macht für unterschiedliche Szenarien«, sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag in Rostock. »In Zeiten, wo die Unsicherheit größer ist als zu normalen friedlichen Zeiten, muss man vorbereitet sein.« Es wird befürchtet, dass Russland seine Gaslieferungen nach Europa weiter drosseln oder sogar kappen könnte und dann nicht mehr genug Gas für private Haushalte und Wirtschaft zur Verfügung stehen könnte. In einem Entwurf wird erwogen, öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude ab Herbst nur noch bis maximal 19 Grad zu beheizen.

UN sieht ermutigende Zeichen bei Getreide-Export

Der mögliche Kompromiss zu Getreidelieferungen aus der Ukraine
stößt bei Hilfsorganisationen auf ein positives Echo. "Es
ist ermutigend, dass die Verhandlungen substanzielle Fortschritte
machen, denn es hängt so viel davon ab", sagte der Direktor
des UN-Welternährungsprogramms in Deutschland, Martin Frick,
dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Wenn Seewege weiter versperrt blieben, falle ein zentraler Akteur in der globalen Nahrungsmittelversorgung aus. Über Flüsse und Schienen seien im Juni 2,5 Millionen Tonnen Getreide transportiert worden. »Das ist ein bemerkenswerter Erfolg, aber dennoch nur die Hälfte dessen, was die Ukraine in Friedenszeiten monatlich exportiert.« Aktuell warteten 20 Millionen Tonnen Getreide in Silos in der Ukraine auf die Ausfuhr.

© dpa-infocom, dpa:220714-99-15564/16