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Kremlkritiker Nawalny noch immer im Koma

Seit Tagen liegt der wohl bekannteste russische Oppositionelle im Koma. Alexej Nawalny wird seit dem Wochenende in Berlin behandelt. Noch ist nicht öffentlich bekannt, wie es wirklich um ihn steht. Der Fall wirft viele Fragen auf.

Charité
Alexej Nawalny wird in der Charité in Berlin behandelt. Foto: Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa
Alexej Nawalny wird in der Charité in Berlin behandelt. Foto: Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa

BERLIN. Nach dem Transport des möglicherweise vergifteten Kremlkritikers Alexej Nawalny nach Berlin könnten an diesem Montag weitere Details zu seinem Gesundheitszustand bekannt werden.

Nawalny wurde am Wochenende von deutschen Ärzten in der Berliner Universitätsklinik Charité umfassend untersucht. Mit Informationen sei frühestens am Montag zu rechnen, hieß es. Die behandelnden Ärzte wollen sich erst nach Abschluss der Untersuchungen und Rücksprache mit der Familie äußern. Auch Nawalnys Mitarbeiter wollen Auskunft geben. Wann genau, war zunächst unklar.

Der Filmproduzent Jaka Bizilj, der den Flug nach Berlin organisiert hatte, geht davon aus, dass Nawalny überleben wird. Im Politik-Talk »Die richtigen Fragen« auf »Bild live« sagte Bizilj am Sonntagabend: »Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage, ob er das unbeschadet übersteht und seine Rolle weiter einnehmen kann.« In diesem Fall sei Nawalny aber sicherlich mindestens ein, zwei Monate politisch außer Gefecht gesetzt.

Die Sprecherin des Kremlgegners, Kira Jarmysch, zeigte sich erstaunt über diese Mitteilung. Niemand habe im Moment Zugang zu Informationen über den Zustand Nawalnys - schon gar nicht jemand, der nicht zur Familie gehöre. »Die Familie Alexejs hat niemanden beauftragt, der Presse etwas mitzuteilen über seine Gesundheit«, schrieb sie im Nachrichtenkanal Telegram am frühen Montagmorgen. »Im Moment gibt es keine neuen Einzelheiten zu Alexejs Gesundheit. Wir bitten alle darum, Geduld zu bewahren und nicht auf unwahre Mitteilungen zu reagieren«, meinte sie. Autorisierte Informationen könne es nur von den Ärzten oder von ihr selbst geben, betonte Jarmysch.

Der 44-Jährige, einer der schärften Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin, liegt seit Donnerstag im Koma. Er soll nach Angaben seines Umfeld vergiftet worden sein. Die russischen Ärzte sprachen lediglich von Stoffwechselproblemen. Erst nach langem Zögern wurde der Regierungskritiker am Wochenende zur Behandlung nach Deutschland gebracht. Die Familie warf den russischen Behörden und Ärzten vor, mit dieser Verzögerungstaktik eine Vergiftung vertuschen zu wollen. Auch der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Dirk Wiese, forderte eine transparente Aufklärung des Falls.

Die Ärzte in Sibirien wiesen unterdessen Vorwürfe zurückgewiesen, sie hätten unter Kontrolle der Behörden gestanden. »Wir haben den Patienten versorgt, und wir haben ihn gerettet. Es gab keinen Einfluss von außen auf die Behandlung des Patienten«, sagte der Chefarzt der Klinik in Omsk, Alexander Murachowski, am Montag.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Angaben des Kreml keinen Einfluss auf den Transport des möglicherweise vergifteten Oppositionellen Alexej Nawalny nach Deutschland genommen. »Das ist absolut nicht das Vorrecht des Präsidenten«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag der Staatsagentur Tass zufolge. Es habe auch keine internationalen Verhandlungen dazu gegeben.

Nawalny steht in der Klinik in Berlin-Mitte unter dem Schutz des Bundeskriminalamts (BKA). »Der polizeiliche Schutz von Alexej Nawalny wurde zunächst durch den Bund übernommen«, sagte ein Regierungssprecher der Deutschen Presse-Agentur. Am Sonntag waren mehrere Einsatzkräfte vor dem Eingang der Charité. Seine Ehefrau Julia und einer seiner engsten Vertrauten durften zu Nawalny. Zuvor war der russische Oppositionelle unter starkem Polizeischutz vom Flughafen Tegel in die Klinik transportiert worden.

Noch immer sind die genauen Umstände des Falls unklar. Nawalny hatte bei einer Reise in Sibirien in einem Flugzeug unter starken Schmerzen das Bewusstsein verloren. Am Wochenende wurde bekannt, dass er von Sicherheitskräften bei seiner Reise umfassend beschattet worden sein soll. Dabei soll dokumentiert worden sein, mit wem Nawalny sich getroffen, was er gegessen und wo er geschlafen hat. Sogar eine Sushi-Bestellung seiner Mitarbeiter wurde dabei angeführt.

Der Oppositionelle Ilja Jaschin kündigte an, eine offizielle Anfrage an den Inlandsgeheimdienst FSB stellen zu wollen. Es sei ungeheuerlich, dass Geheimdienstmitarbeiter einen Oppositionspolitiker bespitzelten, schrieb Jaschin auf Facebook.

Nawalny wollte am Donnerstag von Sibirien zurück nach Moskau fliegen. Am Flughafen in Tomsk habe er noch einen Tee getrunken, sagte Nawalnys Sprecherin. Während des Flugs habe er sich unwohl gefühlt und noch an Bord das Bewusstsein verloren. Das Flugzeug landete dann in Omsk in Sibirien, wo er zunächst versorgt wurde. (dpa)