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Klingbeil gesteht Fehler der SPD in Russland-Politik ein

Der SPD-Chef geht hart mit seiner Partei ins Gericht und fordert einen Paradigmenwechsel: Der Grundsatz, dass es Sicherheit nur mit Russland geben könne, habe sich erledigt.

Lars Klingbeil
Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, gibt ein Presse-Statement zum Russland-Ukraine-Konflikt ab. Foto: Wolfgang Kumm
Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, gibt ein Presse-Statement zum Russland-Ukraine-Konflikt ab.
Foto: Wolfgang Kumm

SPD-Chef Lars Klingbeil hat mehrere Fehleinschätzungen seiner Partei in der Russland-Politik der letzten Jahrzehnte eingestanden. »Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten haben wir oft das Trennende übersehen. Das war ein Fehler«, sagte Klingbeil in einer Rede bei einer Parteiveranstaltung in Berlin.

Die SPD habe nach dem Ende des Kalten Krieges geglaubt, dass die Beziehungen zu Russland einfach immer besser werden würden. »Dadurch sind blinde Flecken in unserem Umgang mit Russland entstanden. Und das hat zu Fehlern im Umgang mit Russland geführt.«

»Sicherheit vor Russland organisieren«

Klingbeil sprach sich dafür aus, die Haltung zu Russland grundsätzlich zu ändern. Die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben könne, habe keinen Bestand mehr. »Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren«, sagte der SPD-Chef. »Russland hat sich aus dem System der gemeinsamen Sicherheit und der gemeinsamen Werteordnung verabschiedet. Unsere Sicherheit muss ohne Russland funktionieren.«

Die frühere Russland-Politik der SPD war in den vergangenen Monaten scharf kritisiert worden. Im immer noch gültigen Grundsatzprogramm der Partei von 2007 wird die strategische Partnerschaft mit Russland als »unverzichtbar« für Deutschland und die Europäische Union bezeichnet. »Die Öffnung Russlands sichert Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent«, heißt es da. Im Wahlprogramm der SPD von 2021 steht der Satz: »Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.«

Die SPD will ihre Außen- und Sicherheitspolitik bei ihrem Parteitag Ende 2023 neu aufstellen. Die Kommission Internationale Politik der Partei erarbeitet dafür derzeit Vorschläge.

Vier Fehleinschätzungen

Klingbeil nannte in seiner Rede konkret vier Fehleinschätzungen der SPD in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges:

  • Man habe daran geglaubt, dass die Geschichte beide Länder einander verpflichte. Dabei habe die SPD verkannt, dass der russische Präsident Wladimir Putin das anders sehe und die Geschichte für die autokratische Konsolidierung nach innen und seine Großmachtpolitik nach außen instrumentalisiere.
  • Das Paradigma Wandel durch Annäherung habe nicht funktioniert. Immer engere wirtschaftliche Verflechtungen hätten nicht zu einer stabileren europäischen Ordnung beigetragen.
  • Deutschland habe sich mit seiner Energiepolitik abhängig von Russland gemacht. »Eine solch einseitige Abhängigkeit darf nie wieder passieren.«
  • Die Interessen der ost- und mitteleuropäischen Partner seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das habe zu einem massiven Vertrauensverlust geführt.

Es gebe sicher weitere Fehler, die gemacht worden seien, sagte Klingbeil. Ihm sei wichtig, diese zu benennen und daraus die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Der SPD-Chef betonte, dass er sich eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland auch langfristig nicht vorstellen kann. »Es kann und wird mit Russland keine Rückkehr zum Status quo vor dem Krieg gegen die Ukraine geben.«

© dpa-infocom, dpa:221018-99-175777/4