BERLIN. Wenige Tage vor der Europawahl sind sich die größeren deutschen Parteien in ihrer scharfen Abgrenzung gegen Rechtspopulisten einig - bis auf die AfD. Ansonsten betonen die Chefs von CDU, CSU, SPD, AfD, FDP, Grünen und Linken im Schlussspurt des Wahlkampfs viele Unterschiede.
In der ARD-Sendung »Gipfeltreffen Europa - Die Parteichefs im Gespräch« vermieden sie am Montagabend heftigen Streit. Der Ton blieb meist sachlich und distanziert - ein Überblick über die wichtigsten Themen:
UMGANG MIT RECHTSAUSSEN: Der Skandal um die FPÖ in Österreich ist für die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ein Beweis dafür, dass Rechtspopulisten nicht wählbar sind. Für die CDU seien diese Parteien »keine Koalitionspartner, keine, mit denen wir zusammenarbeiten wollen«. Auch CSU-Chef Markus Söder betonte, mit Rechtspopulisten sei keine seriöse Regierungsarbeit möglich. SPD-Chefin Andrea Nahles hofft auf einen »Denkzettel« - nicht nur für die Rechten selbst, sondern auch »für die konservativen Parteien, die denen zur Macht verholfen haben«.
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock warnte, Rechtspopulisten in ganz Europa wollten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kaputt machen. Bernd Riexinger (Linke) sagte, er erhoffe sich als Konsequenz Verluste bei den Rechten. FDP-Chef Christian Lindner sagte, nach dem Brexit sehe man in Europa ein zweites Mal einen Scherbenhaufen, den Rechtspopulisten angerichtet hätten. AfD-Chef Jörg Meuthen hingegen sprach von einem innerösterreichischen Ereignis - außerhalb Österreichs würden die Vorgänge keine Rolle spielen.
Hintergrund ist die Video-Affäre um den inzwischen zurückgetretenen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache, die Österreich in eine schwere Krise getrieben hat.
FLÜCHTLINGE: Der Streit über den Umgang mit Migranten hatte die große Koalition in den vergangenen Jahren in existenzielle Krisen gestürzt - nun vermieden die Partner Streit. Nahles forderte eine Kraftanstrengung für eine humanitäre, geordnete Flüchtlingspolitik in Europa: »Das ist eine der großen Aufgaben der nächsten EU-Kommission.« Aber auch sie meinte, die Außengrenzen müssten gestärkt werden.
Kramp-Karrenbauer sagte, im Rahmen »flexibler Solidarität« müsse Ländern mit EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland geholfen werden, etwa bei der Sicherung der Grenzen. Söder forderte, Schleppern und Schleusern das Handwerk zu legen. Baerbock betonte: »Wir wollen eine europäische Grenzsicherung (...), aber wir wollen keine Militarisierung.« Lindner pochte auf mehr Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten im Kampf gegen Fluchtursachen. Meuthen verlangte: »Wir brauchen eine Festung Europa.« Riexinger hielt dem entgegen: »Die Idee einer Festung Europas ist absurd.«
SOZIALPOLITIK: Nahles schlug einen Fonds vor, in den die Staaten für den Fall einer Wirtschaftskrise einzahlen sollten. Daraus solle ein Staat im Krisenfall Mittel entnehmen können, so dass es nicht wie in der Vergangenheit in die Krise hineinsparen müsse, sondern weiter investieren könne. Das Geld müsse zurückgezahlt werden, wenn sich das Land erholt habe. Söder hielt dem entgegen: »In der Praxis haben sich solche Systeme selten bewährt.« Riexinger forderte zur Finanzierung eines dringend nötigen sozialen Aufbruchs, dass sich Reiche und Vermögende stärker finanziell beteiligen.
KLIMASCHUTZ: Nahles bekräftigte, bei dem von der SPD geforderten Preis auf den CO2-Verbrauch dürfe für normale Bürger keine Zusatzbelastung entstehen. Kramp-Karrenbauer warnte erneut vor einer isolierten Erhöhung etwa der Mineralölsteuer und kündigte ein Gesamtkonzept an. Bei der Frage, ob eine Zusatzsteuer auf Flugbenzin nötig sei, betonte Riexinger, er halte viel von einem solchen Instrument, wenn es sozial gestaltet sei. Baerbock sagte, eine solche Steuer dürfe nicht das einzige Instrument sein. Notwendig seien ein wahrhaftiger Preis des CO2-Verbrauchs und Planungssicherheit für Unternehmen. Für Lindner gilt es, weg von Verboten und hin zu einem Ideenwettbewerb zu kommen.
ENTWICKLUNG EUROPAS: Kramp-Karrenbauer setzte sich für verstärkte Möglichkeiten der EU ein, bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gegen Mitgliedsstaaten vorzugehen. »Die EU hat da schon Zähne und Mechanismen« - diese müssten aber noch schärfer werden. Der Spitzenkandidat der bürgerlich-konservativen Parteienfamilie EVP, Manfred Weber (CSU), habe dafür gute Vorschläge gemacht. So solle es etwa bei der Festsetzung von Sanktionen kein Einstimmigkeitsprinzip mehr geben. Baerbock forderte ähnlich wie Nahles, es dürfe keine öffentlichen Gelder mehr geben, wenn europäische Werte mit Füßen getreten würden. Die Grünen-Chefin schlug vor, die Mittel sollten dann direkt an zivilgesellschaftliche Kräfte fließen.
Auch die SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Katarina Barley, trat am Dienstag im Sender NDR Info für härtere Sanktionen bei Verstößen gegen Grundwerte der EU ein. Der derzeit mögliche Entzug des Stimmrechts sei »ein sehr scharfes Schwert«, reiche aber nicht, sagte die Justizministerin. Sie schlug Finanzstrafen vor. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban stütze seine Macht »auch auf den gestiegenen Wohlstand - und der wiederum basiert zum Großteil auf EU-Subventionen«, argumentierte Barley. Gegen Ungarn läuft ein EU-Sanktionsverfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Die Mitgliedschaft von Orbans Partei Fidesz in der EVP, der auch CDU und CSU angehören, ist suspendiert. (dpa)