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Kein deutscher Alleingang bei Flüchtlingskindern

Viele Flüchtlingslager in Griechenland sind hoffnungslos überfüllt. Dramatisch ist die Situation vor allem für Tausende Kinder, die dort ohne ihre Eltern ausharren. Der vorweihnachtliche Hilfsappell von Grünen-Chef Habeck hat aber wohl trotzdem keine Aussicht auf Erfolg.

Flüchtlingslager Moria
Migranten im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Hier leben auch viele Kinder. Foto: Angelos Tzortzinis/dpa
Migranten im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Hier leben auch viele Kinder. Foto: Angelos Tzortzinis/dpa

Berlin/Athen/Ankara (dpa) - Aus den überfüllten griechischen Aufnahmelagern werden vorerst keine minderjährigen Flüchtlinge im Alleingang nach Deutschland geholt.

Die Bundesregierung erteilte einer entsprechenden Forderung des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck eine Absage. »Wir suchen für die Zukunft nach einer europäischen Lösung«, betonte Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag in Berlin. »Deutschland kann das nicht im Alleingang.«

Innenminister Horst Seehofer (CSU) warnte in der »Süddeutschen Zeitung«, ein deutscher Alleingang bei der Aufnahme von Flüchtlingen würde zu einem Sogeffekt führen, den niemand mehr steuern könne.

Dies entspricht dem Grundtenor, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits in der vergangenen Woche verkündet hatte. Bei der Regierungsbefragung im Bundestag sagte Merkel, die Situation auf den griechischen Insel sei nicht nur ein deutsches Problem. »Wenn Europa ein Europa der Werte ist, sind auch andere mit gefordert.«

Habeck hatte sich in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« dafür stark gemacht, bis zu 4000 Kinder von den Ägäis-Inseln zu holen. Seehofer warf ihm daraufhin »unredliche Politik« vor. Auf den griechischen Inseln leiste die Bundesregierung bereits massive Hilfe. Von Habeck seien ihm hingegen »keine Aktivitäten bekannt, um mit diesem Problem fertig zu werden«.

Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sprach hingegen von einer »akuten Nothilfe« für unbegleitete Kinder und Jugendliche und kritisierte den Verweis der Bundesregierung auf eine europäische Lösung: »Wenn keiner sich bewegt, ist niemandem geholfen. Daher sollte Deutschland sich bewegen.«

In den Aufnahmelagern im Osten der Ägäis sind nach Angaben der griechischen Regierung etwa 40.000 Menschen untergebracht, obwohl nur Platz für 7500 Flüchtlinge ist. Die humanitäre Lage gilt als dramatisch. Unter den Betroffenen sollen auch mehr als 4000 Minderjährige sein, die dort ohne ihre Eltern ausharren.

Habecks Hilfsappell ist allerdings kein neuer Vorstoß. Schon Anfang des Monats hatten die Landesinnenminister aus Niedersachsen, Berlin und Thüringen auf die humanitäre Notlage hingewiesen und ihre Hilfe bei der Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen angeboten - und ihr Angebot in einem weiteren Brief vom 20. Dezember erneuert.

Berlin bekräftigte am Montag ausdrücklich seine Bereitschaft, bis zu 70 unbegleitete Minderjährige in die Hauptstadt zu holen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will 50 Kinder und Jugendliche aufnehmen. Ähnliche Signale kommen aus Baden-Württemberg. »Die Situation auf den griechischen Inseln ist unerträglich«, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) der »Stuttgarter Zeitung« und den »Stuttgarter Nachrichten«.

Doch die Länder sind nach Ansicht der Bundesregierung gar nicht am Zug. »Die Flüchtlingspolitik ist eine Sache des Bundes«, betonte ein Sprecher von Innenminister Seehofer. »Und dementsprechend werden auch alle Übernahmeentscheidungen oder Aufnahmeentscheidungen durch den Bund getroffen.«

Die EU ist sich der Probleme auf den griechischen Insel bewusst, sieht die Lösung aber vor allem in einer Beschleunigung der dortigen Asylverfahren. Nach Angaben von Experten des Europäischen Rechnungshofs vergingen im vergangenen Jahr anstelle von wenigen Tagen im Durchschnitt noch immer 215 Tage von der Antragstellung bis zur Entscheidung in erster Instanz. Ein im November veröffentlichter Bericht nennt unter anderem Personalmangel als Grund.

Der Abschluss der Asylverfahren ist jedoch in der Regel die Voraussetzung für die Umsiedlung von Schutzbedürftigen auf das griechische Festland oder in andere EU-Staaten. Sollte diese Regelung aufgegeben werden, könnte der Anreiz für in der Türkei lebende Migranten wieder größer werden, sich mit Hilfe von Schlepperbanden auf den Weg auf die griechischen Inseln zu machen. Der Flüchtlingspakt zwischen EU und Türkei soll Migranten jedoch genau davon abhalten.

Erst am Sonntag hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gedroht, mehr als 80.000 Menschen aus der syrischen Provinz Idlib seien auf dem Weg in die Türkei, was auch Griechenland und Europa zu spüren bekommen würden. Seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland hat die Türkei rund 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen.

Erdogan drängt deshalb seit Monaten auf zwei Dinge: zum einen mehr Geld aus Europa für die Flüchtlinge, die schon im Land sind, zum anderen Hilfe für eine höchst umstrittene sogenannte Sicherheitszone im Norden Syriens, in die er jüngsten Aussagen zufolge mindestens eine Million Flüchtlinge umsiedeln möchte.

Griechenlands Regierung rief die Türkei unterdessen auf, den Flüchtlingspakt mit der EU einzuhalten und die Migration nicht zu instrumentalisieren. Wenn die Türkei mehr Unterstützung für die Unterbringung fordere, sei Athen dafür offen, hieß es am Montag aus griechischen Regierungskreisen.

Die jüngsten vorweihnachtlichen Hilfsangebote aus Deutschland sind bei Fachleuten vor Ort jedoch umstritten. Das sei wohl gut gemeint, aber zu kurz gegriffen, sagte ein Flüchtlingshelfer hinter vorgehaltener Hand. Das Wichtigste sei ein tragfähiges Programm zur Verteilung der Flüchtlinge in der EU.

In Deutschland hatte sich die große Koalition erst im vergangenen Jahr darauf geeinigt, dass auch Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus wieder Angehörige zu sich nach Deutschland holen dürfen. Von Januar bis November 2019 wurden im Rahmen des Familiennachzugs laut Auswärtigem Amt 10.461 Visa erteilt. Das betrifft auch unbegleitete Minderjährige, die auf diesem Weg ihre Eltern nachholen können.