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Karlsruhe stärkt Parlaments-Fragerecht zu Geheimdiensten

Ein Abgeordneter erkundigt sich beim Innenministerium nach Verfassungsschutz-Mitarbeitern im Ausland und bekommt keine Antwort - aus Sicherheitsgründen, heißt es. Das geht Karlsruhe zu weit: Das Staatswohl sei Bundestag und Bundesregierung gemeinsam anvertraut.

Richter
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Foto: Uwe Anspach
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Foto: Uwe Anspach

Die Bundesregierung darf dem Bundestag und seinen Abgeordneten nicht unter pauschalem Verweis auf das Staatswohl allgemeine Auskünfte über die deutschen Geheimdienste verweigern.

Ein solches Vorgehen verletze das parlamentarische Fragerecht, entschied das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch. Geklagt hatte der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle. Er sagte nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe, damit sei klargestellt, dass für den Bereich der Nachrichtendienste keine Ausnahme gelte.

Kuhle hatte Ende 2020 angefragt, wie viele Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in den vergangenen fünf Jahren ins Ausland entsandt waren. Damals war die FDP noch in der Opposition. Das CSU-geführte Innenministerium verweigerte ihm die Information.

Informationsanspruch des Bundestags nicht grenzenlos

Begründet wurde das damit, dass »in besonderem Maße das Staatswohl« berührt sei. Durch die Auskunft könnten Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz gezogen werden.

»Dies wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verweigerung der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage nicht gerecht«, sagte Vizegerichtspräsidentin Doris König.

Der Informationsanspruch des Bundestags und einzelner Abgeordneter sei zwar nicht grenzenlos. Ihm könne das Staatswohl entgegenstehen. Hier sei aber nicht ersichtlich, inwiefern die begehrte Auskunft die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigen könnte. Kuhle habe weder nach Einsatzorten und -zeiten noch nach Tätigkeitsschwerpunkten oder anderen Einzelheiten gefragt.

Die Bundesregierung hatte in der Verhandlung im März vorgetragen, maßgeblich sei nicht der isolierte Gehalt einer Information. Es komme auf deren Potenzial als Mosaikstück an - also darauf, ob fremde Dienste sich aus vielen kleinen Informationen ein Gesamtbild zusammensetzen können. Dazu sagte König, die Übernahme dieser Theorie hätte »ein nahezu völliges Leerlaufen des parlamentarischen Fragerechts« zur Folge. Damit könne jede Auskunft verweigert werden.

Der Zweite Senat verwies außerdem darauf, dass die Informationsrechte des Bundestags nicht durch die Einrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verdrängt worden seien. Das ist ein strikter Geheimhaltung unterworfenes Gremium, das die Nachrichtendienste des Bundes kontrolliert und dem Bundestag regelmäßig Bericht erstattet.

»Staatswohl ist nicht allein der Regierung anvertraut«

In Kuhles Fall hatte es das Ministerium auch abgelehnt, die Frage eingestuft zu beantworten, also mit einem Geheimhaltungsgrad. Dann hätte die Information von allen Abgeordneten eingesehen werden können, aber nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Mahmut Özdemir (SPD), hatte diese Entscheidung in der Verhandlung damit begründet, dass dort eine vierstellige Zahl von Personen Zugang habe.

Auch damit sind die Verfassungsrichter nicht einverstanden. »Das Staatswohl ist nicht allein der Regierung, sondern Bundestag und Bundesregierung gemeinsam anvertraut«, sagte König. Es reiche aus, wenn es beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden der geheimhaltungsbedürftigen Informationen gebe.

Kuhle sprach von einem »Erfolg für das parlamentarische Fragerecht«. Deutschland brauche funktionierende Nachrichtendienste, die sich im In- und Ausland Informationen beschaffen können. »Aber es muss in einer Demokratie erlaubt sein, dass die Volksvertreter Fragen zu den Nachrichtendiensten stellen, und zwar auch als einzelne Abgeordnete.«

Kuhle hatte die Zahlen vor dem Hintergrund erbeten, dass der Verfassungsschutz eigentlich fürs Inland zuständig ist und fürs Ausland der Bundesnachrichtendienst. Er hatte herausfinden wollen, ob sich hier die Prioritäten verschieben. (Az. 2 BvE 8/21)

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