Bloß keine Windräder im Wald - diese Haltung ist für Bundesländer nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts passé. Die Karlsruher Richter kassierten mit einer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung ein ausnahmsloses Verbot für Windkraftanlagen in Waldgebieten in Thüringen als verfassungswidrig (1 BvR 2661/21). Der Beschluss der Karlsruher Richter hat Signalwirkung für andere Bundesländer mit einem solchen Pauschalverbot und könnte nach Meinung von Fachleuten für mehr Tempo beim zuletzt eher schleppenden Windkraftausbau in Deutschland sorgen. Der Bundesverband Windenergie sprach von einem Paukenschlag aus Karlsruhe.
Die Kläger
Gegen den generellen Verbotspassus im Ende 2020 geänderten Thüringer Waldgesetz hatten private Waldbesitzer Verfassungsbeschwerde eingelegt - mit Erfolg. Sie wollen mit Projektentwicklern Windräder auf Kahlflächen bauen.
Die Situation in den Bundesländern
Nach einer Untersuchung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages mit Stand August 2022 gibt es auch in einigen anderen Bundesländern ein Windkraft-Tabu in Forstgebieten, aber auch Sonder- und Ausnahmeregelungen. In der Untersuchung heißt es: »Die Nutzung von Waldstandorten für die Windenergie ist derzeit in sechs Bundesländern zulässig: Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz sowie im Saarland.« In zwei weiteren Bundesländern - Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen - sei sie eingeschränkt möglich. Das Klimaschutzministerium in Mainz hält Rheinland-Pfalz für das Bundesland mit den derzeit meisten Windkraftanlagen im Wald - 475 seien es.
Die Entscheidung der Bundesverfassungsrichter
Sie erklärten den Verbotspassus im Thüringer Waldgesetz für »mit dem Grundgesetz unvereinbar und damit nichtig«. Er verbiete ausnahmslos die Änderung der Nutzungsart von Waldgebieten und »verhindert damit jeden Bau von Windenergieanlagen in Waldgebieten«, heißt es in der Entscheidung. Das sei ein Eingriff in das vom Grundgesetz geschützte Eigentumsrecht von Waldbesitzern. Dem Freistaat Thüringen fehle für die Regelung die Gesetzgebungskompetenz, da der Bund in diesem Bereich ebenfalls gesetzliche Regelungen getroffen habe. Genannt wird das Bodenrecht.
Naturschutz gilt weiterhin für Wälder
In der Regel sind für Windräder Standorte vorgesehen, die nach Borkenkäferbefall, Trockenheit und Stürmen stark geschädigt oder bereits ohne Bäume sind - sogenannte Kalamitätsflächen. Und mit ihrer Gesetzgebungskompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege könnten die Länder Wälder auch weiterhin unter Schutz stellen, »sofern diese Gebiete aufgrund ihrer ökologischen Funktion, ihrer Lage oder auch wegen ihrer Schönheit schutzwürdig und -bedürftig sind«, erklärten die Verfassungsrichter.
Der Präsident des Windenergieverbandes, Hermann Albers, plädiert daher dafür, nun Flächen in Wirtschaftsforsten zur Nutzung für die Windenergie freizugeben. Das seien oft Monokulturen, die durch vertraglich festgelegte Wiederaufforstung mehr Artenvielfalt bekommen könnten. Dafür könnten Erträge aus der Windenergie genutzt werden.
Habecks Appell
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die Bundesländer kürzlich aufgefordert, mehr Flächen für neue Windkraftanlagen zur Verfügung zu stellen. »Es gibt derzeit zu wenig realisierungsfähige Projekte.« Laut Bundesregierung sind bislang bundesweit 0,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie an Land ausgewiesen - nur 0,5 Prozent aber tatsächlich verfügbar. Nach dem neuen »Wind-an-Land-Gesetz« der Bundesregierung sollen bis Ende 2032 zwei Prozent der Bundesfläche für die Windenergie ausgewiesen werden. Für die 16 Bundesländer gibt es Vorgaben, wie hoch ihr Anteil zur Erreichung des Ziels sein muss.
Bundesländern wollen reagieren
Thüringens Energieministerin Anja Siegesmund will das gerügte Pauschalverbot für Windräder im Wald nun schnell abschaffen. »Das Urteil löst endlich eine Blockade in Thüringen, die uns bei der Energiewende zu lange unnötig aufgehalten hat«, erklärte die Grünen-Politikerin in Erfurt. Die Regelung war vor allem auf Drängen der oppositionellen CDU-Landtagsfraktion ins Gesetz geschrieben worden - quasi als Kompromiss, weil die rot-rot-grüne Minderheitskoalition von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf CDU-Stimmen beim Haushalt angewiesen war. Auch Nordrhein-Westfalen plant Änderungen: Die neue Landesregierung wolle den Landesentwicklungsplan ändern, so das zuständige Ministerium. »Ein wesentlicher Baustein wird dabei der Ausbau von Windenergie auf geeigneten Waldflächen sein.«
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