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Karlsruhe für verpflichtende Bürgerbeteiligung bei Windparks

In Mecklenburg-Vorpommern müssen Windpark-Betreiber Anwohner und Kommunen am Ertrag beteiligen. Die Bundesverfassungsrichter halten das nicht nur für grundgesetzkonform - sondern sogar für nachahmenswert.

Windräder
Durch kommunale und bürgerschaftliche Teilhabe könnten laut dem Bundesverfassungsgericht die »Akzeptanzprobleme« beim Ausbau der Windenergie verringert werden. Foto: Jens Büttner
Durch kommunale und bürgerschaftliche Teilhabe könnten laut dem Bundesverfassungsgericht die »Akzeptanzprobleme« beim Ausbau der Windenergie verringert werden.
Foto: Jens Büttner

Menschen in der Nachbarschaft von Windparks profitieren künftig möglicherweise häufiger vom finanziellen Ertrag. Das Bundesverfassungsgericht gab grünes Licht für gesetzliche Regelungen, die Anlagenbetreiber verpflichten, betroffene Anwohner und Kommunen am Projekt zu beteiligen.

Die Karlsruher Richterinnen und Richter begründen ihre Entscheidung mit wichtigen Gemeinwohlzielen wie dem Klimaschutz und einer gesicherten Stromversorgung. (Az. 1 BvR 1187/17)

Geklagt hatte ein Windenergie-Unternehmen wegen einer bundesweit bislang einmaligen Regelung in Mecklenburg-Vorpommern.

Dort sind Betreiber seit 2016 verpflichtet, beim Bau neuer Windparks an Land eine Projektgesellschaft zu gründen und mindestens 20 Prozent der Anteile den Anwohnern und Kommunen anzubieten. Ein Anteil darf maximal 500 Euro kosten. Alternativ können die Gemeinden eine jährliche »Ausgleichsabgabe« bekommen und die Bürgerinnen und Bürger ein risikoärmeres Sparprodukt wie eine Festgeldanlage. Hier sind Höhe und Verzinsung jeweils an den Ertrag der Gesellschaft gekoppelt.

Die Regelung kommt allen im Umkreis von fünf Kilometern zugute und soll die Akzeptanz für die Anlagen erhöhen. Vielerorts gibt es zunächst Widerstand gegen die weithin sichtbaren Windräder.

Das Unternehmen hatte sich unter anderem in seiner Berufsfreiheit verletzt gesehen. Auch die Verfassungsrichter sprechen von einem »schwerwiegenden Eingriff« - den sie aber für gerechtfertigt halten.

Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschafts- und Energieminister Reinhard Meyer (SPD) begrüßte die Entscheidung. Damit habe sich das Bundesland als Wegbereiter einer Idee erwiesen, die inzwischen auch Eingang ins Erneuerbare-Energien-Gesetz des Bundes gefunden habe. »Allerdings gibt es immer noch einen entscheidenden Unterschied: Die Beteiligung im Erneuerbaren-Energien-Gesetz erfolgt auf freiwilliger Basis«, sagte Meyer. Einer verpflichtenden Bundesregelung stünden mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun aber keine juristischen Zweifel mehr im Weg.

Unmittelbarer Zweck der Pflichten sei die Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, teilte der Erste Senat unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth mit. »Damit dient das Gesetz - wie jede Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien - den legitimen Gemeinwohlzielen des Klimaschutzes (...), des Schutzes der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung.« Wegen des Atomausstiegs bestehe hier erhöhter Bedarf. Außerdem könne Deutschland unabhängiger von Importen werden.

Gleichzeitig gebe es beim Ausbau der Windenergie offenkundig »Akzeptanzprobleme«, hieß es weiter. Durch kommunale und bürgerschaftliche Teilhabe könnten diese verringert werden. In Mecklenburg-Vorpommern sei diese Teilhabe »erstmals hoheitlich« auch dort gesichert, »wo sie eigeninitiativ nicht zustande kommt«.

Die Richterinnen und Richter halten dies offensichtlich für nachahmenswert: »Das Gesetz kann daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen.« Auch mit Blick auf die Stromversorgung wird an anderer Stelle der »Pilotcharakter der Maßnahme« erwähnt.

Beanstandet wird nur ein Detail des sogenannten Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetzes. Es verpflichtet die Projektträger, den Kommunen unverzüglich nach Erhalt der Genehmigung umfassende Informationen über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Rahmendaten zur Verfügung zu stellen. Diesen Aufwand halten die Richter zumindest dann für unverhältnismäßig, wenn sich die Gemeinden ohnehin nicht für Anteile, sondern für die jährliche Abgabe entscheiden.

Auf Bundesebene können Windpark-Betreiber die betroffenen Kommunen seit 2021 auf freiwilliger Basis finanziell beteiligen. Anteile für die Anwohner sind nicht vorgesehen. Die einzelnen Bundesländer können aber weitergehende Regelungen erlassen. In Brandenburg sind Projektträger etwa verpflichtet, Gemeinden in einem Drei-Kilometer-Radius jährlich 10.000 Euro zu zahlen.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hatte kürzlich ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Ökostrom-Ausbau vorgestellt. Darin ist vorgesehen, dass die finanzielle Beteiligung der Kommunen »maßvoll überarbeitet« und weiterentwickelt wird.

Derzeit hinken die meisten Länder dem Ziel der Bundesregierung für den Windkraftausbau weit hinterher. Angestrebt ist, dass zwei Prozent der Landesfläche für den Bau von Windrädern ausgewiesen werden.

Der Bundesverband Windenergie (BWE) reagierte enttäuscht auf die Karlsruher Entscheidung. »Es gibt eine bundeseinheitliche Regelung zur Beteiligung«, erklärte Geschäftsführer Wolfram Axthelm. »Es gilt zu vermeiden, dass parallel erlassenes Landesrecht den notwendigen zügigen Ausbau der Windenergie blockiert.«

© dpa-infocom, dpa:220505-99-168257/2