Berlin (dpa) - Friedrich Merz windet sich, aber vor allem kokettiert er an diesem Abend. Ob er denn nun tatsächlich als CDU-Chef antreten werde, will der Moderator auf der kleinen Bühne im rustikalen Berliner »Ballhaus« am Donnerstagabend von dem Ex-Unionsfraktionschef wissen.
Am Ende lässt sich der 64-Jährige dann gleich mehrfach den Satz abringen, er sei dazu bereit, seinen Beitrag zu leisten. Es geht da um eine gestärkte CDU oder das Ausschöpfen des Wählerpotenzials - er sieht es bei 35 plus X. Aber er betont auch: Entscheiden werde ein nun wohl bis zum Sommer notwendiger Sonderparteitag.
Am Mittwochabend war Merz vorgeprescht. Er sei nach dem angekündigten Rückzug von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer entschlossen, für den CDU-Vorsitz zu kandidieren, ließ der ehrgeizige Vizepräsident des Wirtschaftsrats der CDU sein engstes Umfeld verlauten. Er wisse die Parteibasis hinter sich und fühle sich durch die Umfragen ermutigt.
Nun möchte das Publikum - viele junge Männer vom Unionsnachwuchs sind da, die Frauen sind in der Minderheit - unbedingt wissen, ob Merz tatsächlich kandidieren werde. Die Leute halten Schilder hoch, auf denen »Ein Herz für Merz« oder »Kanzler Merz« steht.
Doch ein ganz eindeutiges »Ja« zur Kandidatur geht Merz trotz aller jubelnden Zustimmung nicht über die Lippen. Aber jeder im Saal versteht: Merz will. Und er will auch Kanzler. Keiner kann es beispielsweise missverstehen, wenn der Sauerländer sagt, Kramp-Karrenbauer habe Recht - als sie in ihrer Begründung für den angekündigten Rückzug gesagt habe, Parteivorsitz und Kanzleramt gehörten in eine Hand.
In seiner Rede streift Merz alle wichtigen Themen, die auch für einen künftigen Kanzler wichtig sein werden. Innenpolitik, Soziales, Steuern, Außenpolitik und natürlich auch das Klimathema. Vieles von dem, was er sagt, würde seine alte Rivalin, Kanzlerin Angela Merkel, auch nicht anders sagen. Große Neuigkeiten sind nicht dabei, aber das hat wohl auch niemand im Publikum wirklich erwartet.
Erst nach über einer halben Stunde kommt Merz zum Punkt, der die Zuhörer am meisten interessiert: den Parteivorsitz. Es gehe bei der wahrscheinlich bis zum Sommer anstehenden Wahl nicht nur um eine Personalentscheidung - »das ist eine Richtungsentscheidung«, die auch mit Sachthemen verbunden sein müsse. Sie müsse für die Union »Aufbruch nach vorne« bedeuten.
Spannend wird es im erst im Anschluss, in der Fragerunde. Er habe das Gefühl, einen Beitrag leisten zu können, dass es in Deutschland gut bleibe - und vielleicht ein wenig besser werde, sagt Merz da in seinem gewohnt nüchternen Ton. Eigentlich könne er sich in seinem Alter ja auch der »Aktion Abendsonne« hingeben, sagt der 64-Jährige.
Doch dazu habe er keine Lust, macht Merz im selben Atemzug klar. Vor allem treibe ihn das Erstarken rechter Parteien um, sagt Merz und meint auch die AfD. »Wenn ich dazu etwas beitragen kann, dass dieses Gesindel wieder verschwindet, dann leiste ich diesen Beitrag«, wütet er. Später bedauert er den Kraftausdruck.
Interessant sind noch ein paar andere Einlassungen von Merz. So sagt der Mann, der bei einem lange zurückliegenden CDU-Parteitag mit dem Vorschlag einer Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passe, nun: »Der Bierdeckel ist tot. Vergessen Sie den Bierdeckel.« Er blicke nicht zurück, sondern nach vorne. So ganz stimmt das nicht, etwa wenn er über die Politik von Merkel zürnt, sie habe mit ihrer großen Koalition die Streitkultur der politischen Mitte erheblich beschädigt. Aber er findet auch versöhnliche Töne: Insgesamt habe Merkel ihre Sache glänzend gemacht, er habe großen Respekt vor ihrer Nervenstärke, ihre Uneitelkeit und Professionalität.
Doch nicht nur Merz hat an diesem besonderen Donnerstag in Berlin seinen Auftritt - auch seine möglichen Konkurrenten um Parteivorsitz und Kanzleramt sind in Berlin, Armin Laschet und Jens Spahn.
Laschet kommt extra aus Düsseldorf nach Berlin zu einer lang geplanten Rede vor dem CDU-Wirtschaftrat, dessen Vizepräsident Merz ist. Hinter verschlossenen Türen hält der NRW-Ministerpräsident in Anwesenheit von Merz ein Referat zum Thema »Neue Dynamik für Deutschland und Europa«. Er habe seine Vorstellungen präsentiert, wie sich die Union nun neu aufstellen solle, ist von Teilnehmern zu hören. Über eine künftige Industrie- und Wirtschaftspolitik redet er, von der Union fordert er in der schwierigen Lage Zusammenhalt.
Selbst wenn man sein Thema als Vision für eine Kanzlerschaft verstehen will - offiziell hat auch Laschet seine Kandidatur für den Parteivorsitz noch nicht erklärt.
Auch Gesundheitsminister Spahn redet an diesem Abend in Berlin darüber, dass er Verantwortung übernehmen wolle bei der Suche nach einer neuen Parteiführung. Wie CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur der Union vergeben würde, darüber müsse »in den nächsten Tagen und Wochen« eine Entscheidung fallen. Wie Merz lehnt er ein klares Bekenntnis zu einer eigenen Kandidatur erneut ab, trotz mehrfacher Nachfragen. Spahn kann an diesem Abend gut zurückhaltend sein: Er nimmt einen von einem Fachmagazin verliehenen Preis entgegen. Spahn wird als »Politiker des Jahres« geehrt - das ist keine schlechte Grundlage für künftige Ambitionen des ehrgeizigen Münsterländers.