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Künftige Familienministerin hat »Riesenrespekt« vor Aufgabe

Nachdem Anne Spiegel über ihr Verhalten in der Flutkatastrophe gestolpert war, musste eine neue Familienministerin her. Die Grünen haben drei Tage lang gesucht - nun sind sie fündig geworden.

Lisa Paus
Lisa Paus soll neue Familienministerin werden. Foto: Fabian Sommer
Lisa Paus soll neue Familienministerin werden.
Foto: Fabian Sommer

Die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus soll Anne Spiegel als neue Bundesfamilienministerin folgen. Bei ihrer Vorstellung in Berlin sagte Paus am Donnerstag, dass für sie die Einführung der Kindergrundsicherung zu den wichtigsten Aufgaben ihrer bevorstehenden Amtszeit zählt.

»Mir war Kinderarmut immer ein Riesen-Dorn im Auge.« Sie habe einen »Riesenrespekt« vor der Aufgabe das Ministerium zu übernehmen. Sie freue sich aber darauf, wolle »anpacken« und neue Impulse setzen »mit all dem Einsatz, den ich bringen kann für die Familien in diesem Land«, sagte die Grünen-Politikerin.

Nouripour lobt Paus

Grünen-Chef Omid Nouripour lobte Paus bei der Bekanntgabe der Personalie als »eine erfahrene, kompetente und durchsetzungsfähige Frau«. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte, Paus setze sich schon lange für soziale Gerechtigkeit ein und sei eine erfahrene Verhandlerin. Die Entscheidung für sie traf der Bundesvorstand Lang zufolge einstimmig am Mittwochabend. Der Beschluss werde »von allen Seiten der Partei mit großer Breite und Tiefe getragen«, sagte Nouripour.

»Natürlich müsste ich erstmal drüber nachdenken. Das war jetzt erstmal nicht mein Plan, ja«, räumte Paus ein. Dann habe sie daran gedacht, dass sie zu den Grünen gekommen sei, weil sie Feministin sei. Sie setze sich seit Jahren für das Thema Gleichstellung ein und habe für die Kindergrundsicherung gekämpft. »Da ist es wirklich naheliegend, da dem Ruf auch zu folgen.«

Spiegel ist noch geschäftsführend im Amt, bis Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihr die Entlassungsurkunde überreicht hat und Paus vereidigt und ernannt ist. Paus dankte ihrer Vorgängerin mit den Worten: »Liebe Anne, du hast viele Projekte auf den Weg gebracht, die bleiben werden.«

Paus seit 2009 im Bundestag

Die 53-jährige Diplom-Volkswirtin Paus gehört dem linken Parteiflügel an. Paus kommt ursprünglich aus dem nordrhein-westfälischen Rheine, lebt aber seit längerem in Berlin, wo sie auch im traditionell linken Grünen-Landesverband aktiv ist. Seit 2009 sitzt sie im Bundestag. Paus hat jahrelange Erfahrung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik gesammelt, gilt aber auch als einer der führenden Köpfe hinter dem grünen Konzept für eine sogenannte Kindergrundsicherung. »Bei Finanzfragen macht niemand Lisa was vor«, sagte Lang.

Die Einführung der Kindergrundsicherung wird auch für die neue Familienministerin das wichtigste Projekt sein. Sie ist eines der zentralen Vorhaben der Ampel-Koalition. In der Kindergrundsicherung sollen die bisherigen finanziellen Unterstützungsleistungen des Staates für Kinder gebündelt und durch einen Grundbetrag für alle Kinder ab der Geburt ersetzt werden. Wegen der Komplexität des Themas - es geht um Kindergeld, Hartz IV, Steuerfragen und vieles mehr - wurde zunächst eine Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus dem Familienministerium und den Bundesministerien für Finanzen, Justiz, Arbeit, Bildung und Wohnen gebildet. Sie soll die Details erarbeiten.

Paus ist selbst alleinerziehende Mutter und sagte, sie brenne für soziale Gerechtigkeit. Als weitere wichtige Aufgaben bezeichnete Paus neben der Kindergrundsicherung auch Maßnahmen für mehr Gleichstellung im Land, den Kampf gegen Gewalt und die Verbesserung der Lage von Alleinerziehenden.

Parteichefin Lang hatte klar gemacht, dass eine Frau auf Spiegel folgen solle und Kompetenz eine wichtige Voraussetzung sei. Für die Grünen ist allerdings auch die Zugehörigkeit zu einem der Flügel, Realos oder Linke, ein wichtiges Kriterium. Drei der fünf grünen Bundesminister sind nun auch künftig Realos, zwei gehören damit ebenso wie Spiegel dem linken Flügel an.

Rücktritt Spiegels am Montag

Nach dem quälenden Rückzug Spiegels, die noch am Sonntagabend versucht hatte, ihr Amt mit einem hochemotionalen Auftritt zu retten, war die Grünen-Führung auf der Suche nach einer linken Kandidatin mit Berlin-Erfahrung. Spiegel hatte zwar in Rheinland-Pfalz bereits Ministerien geführt, kam aber als Neuling in den Berliner Politikbetrieb - und dann gleich als Bundesministerin.

Paus hat bislang kein Ministerium geleitet, verwies auf eine entsprechende Frage aber auf ihre »langjährige politische Erfahrung«. In der Regierung aus SPD, Grünen und FDP gebe es eine ganze Reihe an Ministern, die keine Verwaltungserfahrung mitgebracht hätten. »Ich finde, die machen alle einen wirklich guten Job. Und ich bemühe mich, es ihnen gleich zu tun.«

Die Suche nach einer Kandidatin wurde dadurch erschwert, dass die Grünen mit dem Einzug in die Bundesregierung bereits zahlreiche Stellen zu besetzen hatten, von der Fraktions- und Parteiführung über Ministerämter bis hin zu Staatssekretärsposten.

Schon als Abgeordnete im Berliner Landesparlament war Paus als Finanz- und Wirtschaftsexpertin geachtet. Kompetent bei Zahlen, fleißig, das waren Stichworte, die auch aus anderen Parteien zu hören waren. Gerade bei Haushaltsberatungen fällt schnell auf, wenn sich Politiker nicht auskennen mit Details. Zehn Jahre war Paus seit 1999 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, 2009 gelangte sie über einen Listenplatz erstmals in den Bundestag.

Paus bei den Grünen stets anerkannt

So bekannt wie andere Berliner Grünen-Bundespolitiker wie etwa Renate Künast war Paus bislang nicht. Innerhalb ihrer Partei war die leidenschaftliche und kompetente Politikerin aber stets anerkannt. 2017 wurde sie dann Berliner Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl - ebenso wie 2021, als sie in den Fraktionsvorstand gewählt wurde.

Paus kann sehr schnell reden und ist bei Themen, die ihr am Herzen liegen, manchmal schwer zu stoppen. Das räumt sie auch selbstkritisch ein. Ihr etwas sprödes Auftreten unterscheidet sie sicher von großen Sympathieträgern der Grünen wie Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck oder Kulturstaatsministerin Claudia Roth - die aber auch polarisieren. Im persönlichen Gespräch oder bei Partei-Partys gewinnt Paus aber durch Interesse und einen hintergründigen Humor, der sich erst auf den zweiten Blick zeigt.

© dpa-infocom, dpa:220414-99-921428/3