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Juristen: Auflösung des Parlaments in Tunesien »nichtig«

Nach der Auflösung des Parlaments in Tunesien durch Präsident Kais Saied spricht die Genfer Nichtregierungsorganisation ICJ von einem besorgniserregenden Vorgehen.

Kais Saied
Saied spricht, Beobachter fürchten eine gesellschaftliche Spaltung in Tunesien. Foto: Dario Pignatelli
Saied spricht, Beobachter fürchten eine gesellschaftliche Spaltung in Tunesien.
Foto: Dario Pignatelli

Eine internationale Organisation aus Richtern und Anwälten hat die Auflösung des Parlaments in Tunesien durch Präsident Kais Saied kritisiert und als »null und nichtig« bezeichnet.

Solch ein Schritt sei im Ausnahmezustand, den Saied vergangenes Jahr verhängt hatte, nicht verfassungsgemäß, teilte die Internationale Juristenkommission (ICJ) am Donnerstag bei Twitter mit. Das Vorgehen sei »besorgniserregend«. Der Nichtregierungsorganisation ICJ mit Sitz in Genf gehören 60 Richter und Anwälte aus aller Welt an, die sich mit Fragen rund um Justiz sowie Menschenrechte befassen.

Nach einer virtuellen Sitzung von Mitgliedern des Parlaments hatte Saied am Mittwochabend dessen Auflösung angeordnet. Vergangenen Sommer hatte er bereits dessen Arbeit suspendiert und auch den damaligen Regierungschef abgesetzt. Trotz internationaler Proteste verlängerte der Staatschef die Maßnahmen später. Gegner verurteilten sein Vorgehen als Staatsstreich. Der frühere Juraprofessor berief sich hingegen auf die Verfassung des Landes.

Professorin Monica Marks, die an der New York University in Abu Dhabi unter anderem Politikwissenschaft lehrt, sprach vom »Ausbau einer Diktatur in Lichtgeschwindigkeit«. Ein »wütender« Saied habe das virtuelle Treffen der Abgeordneten unbedingt stoppen wollen und sogar Videokonferenz-Dienste wie Zoom landesweit sperren lassen.

Die Mitglieder des Parlaments hatten sich am Mittwoch erstmals seit der Suspendierung zu einer virtuellen Sitzung getroffen. Zum Parlament selbst haben sie seit der Suspendierung durch Saied keinen Zugang mehr. Das Gebäude ist seit Ende Juli abgeriegelt und wird von Sicherheitskräften bewacht.

Tunesiens größte Gewerkschaft mit Hunderttausenden Mitgliedern bezeichnete die Auflösung des Parlaments dagegen als »späten aber notwendigen Schritt«. Die Gewerkschaft habe schon früh eine vorgezogene Parlamentswahl gefordert, sagte der stellvertretende Generalsekretär, Sami al-Tahiri, einem Radiosender.

Saied genoss in der Bevölkerung bislang großen Rückhalt für sein Vorgehen, zuletzt wuchs der Widerstand jedoch. Vor gut einer Woche gingen Tausende Gegner auf die Straße. Beobachter befürchten, dass eine gesellschaftliche Spaltung die Stabilität Tunesiens gefährdet.

© dpa-infocom, dpa:220330-99-737003/4