In einer neuen Rückholaktion hat die Bundesregierung mutmaßliche IS-Anhängerinnen und deren Kinder aus einem Gefangenenlager in Syrien nach Deutschland gebracht.
27 deutsche Kinder und 10 Mütter seien am Mittwoch aus dem Lager Roj in Nordostsyrien zurückgeholt worden, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in der Nacht zum Donnerstag. Der Generalbundesanwalt ließ vier der Frauen direkt am Frankfurter Flughafen festnehmen.
Einer 36-Jährigen aus Rheinland-Pfalz werfen die Ermittler neben der Mitgliedschaft in der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) unter anderem auch Kriegsverbrechen vor, wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mitteilte. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz informierte über die Festnahme einer fünften, 27 Jahre alten Frau. Eine 28-Jährige wurde aufgrund eines Haftbefehls der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf festgenommen.
»Kinder sind Opfer des IS«
Baerbock, die von einer »äußerst schwierigen Aktion« sprach, sagte, die Mütter müssten sich für ihr Handeln verantworten. »Die 27 Kinder sind letztlich Opfer des IS, und sie haben ein Recht auf eine bessere Zukunft fernab seiner tödlichen Ideologie, und auf ein Leben in Sicherheit, wie wir es auch unseren eigenen Kindern wünschen.«
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die mutmaßlichen IS-Anhängerinnen in den frühen Morgenstunden festgenommen, nachdem die planmäßige Ankunftszeit der Maschine gegen 23.00 Uhr gewesen sei. Die vier Frauen, gegen die der Generalbundesanwalt ermittelt, sind zwischen 23 und 36 Jahre alt und haben die deutsche Staatsangehörigkeit, eine von ihnen auch die marokkanische. Sie sollten am Donnerstag am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.
Mehrfach deutsche IS-Anhängerinnen zurückgeholt
Deutschland hat in den vergangenen Jahren mehrfach deutsche IS-Anhängerinnen und ihre Kinder aus Syrien zurückgeholt. »Mit der heutigen Aktion ist der Großteil der deutschen Kinder, deren Mütter zur Rückkehr nach Deutschland bereit sind, in Sicherheit gebracht«, sagte Baerbock. »Es gibt jetzt nur noch wenige, besonders gelagerte Fälle, für die wir weiter an individuellen Lösungen arbeiten.«
Laut Bundesanwaltschaft waren die vier Festgenommenen 2013 oder 2014 über die Türkei nach Syrien oder in den Irak gereist, drei von ihnen mit ihrem Mann. Während die Männer für den IS kämpften, waren sie vor allem für den Haushalt und die Kinderbetreuung zuständig. Die Familien wurden von der Terrororganisation unterstützt.
Die 36-Jährige und ihr Mann sollen darüber hinaus in ihrem Haus »eine große Anzahl von Sprengstoff und Waffen« gelagert und eine Aufnahmestelle für alleinstehende IS-Frauen unterhalten haben. Außerdem soll das Paar eine jesidische Frau als Sklavin für die Hausarbeit und Versorgung der Kinder gehalten haben. Der Mann soll ihr gegenüber regelmäßig sexuell übergriffig geworden sein, wovon seine Frau gewusst habe. Die rechtmäßigen Bewohner des Hauses seien geflohen oder vom IS vertrieben worden. Der Frau, die vor ihrer Ausreise in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz gelebt hatte, werden deshalb Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Menschenhandel und Verstöße gegen das Waffenrecht vorgeworfen.
Die beiden jüngsten Frauen hatten Deutschland noch als Jugendliche verlassen. Laut Bundesanwaltschaft waren alle vier Frauen »zu unterschiedlichen Gelegenheiten« im Frühjahr 2019 festgenommen worden. Seither hätten sie sich in kurdischen Lagern befunden.
Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt nach eigenen Angaben gegen zwei weitere der zehn Frauen. Gegen je eine Verdächtige laufen Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaften Hamburg und Frankfurt. Diese vier Frauen blieben zunächst auf freiem Fuß.
Wie der »Spiegel« berichtete, stammen die zehn Frauen aus Bayern, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Nach dpa-Informationen sind alle Mütter, mit ein bis fünf Kindern. Ein Sprecher der Bundespolizei am Frankfurter Flughafen sagte, dass auch das Jugendamt im Einsatz gewesen sei.
Baerbock dankte unter anderem »der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien und unseren amerikanischen Partnern, die uns erneut logistisch unterstützt haben«. Der Nordosten des Bürgerkriegslandes wird nicht von der Regierung in Damaskus, sondern von einer kurdischen Autonomieverwaltung regiert.
Dort sind jetzt nach Kenntnis des Bundesinnenministeriums noch rund 30 Frauen in Gewahrsam, die aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist waren. Sie alle sollen »eine Zugehörigkeit oder einen Bezug zum sogenannten IS oder einer anderen terroristischen Organisation aufweisen«, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. Rund 20 dieser Frauen sind demnach deutsche Staatsangehörige. Zu rund zehn weiteren Frauen lägen dem Bundesinnenministerium keine Erkenntnisse zu einer deutschen Staatsangehörigkeit vor.
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