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Iran sorgt mit neuer Hinrichtung für Entsetzen

Mit der Hinrichtung eines zweiten Demonstranten spitzt sich die Lage im Iran weiter zu. In Brüssel werden weitere Sanktionen verhängt - auch, aber nicht nur wegen Menschenrechtsverletzungen.

Demonstration gegen Irans Regierung - Spanien
Eine Demonstrantin in Barcelona hat einen Galgen auf ihr Gesicht gemalt, um an die Hinrichtung von Mohsen S. zu erinnern. Foto: Ximena Borrazas
Eine Demonstrantin in Barcelona hat einen Galgen auf ihr Gesicht gemalt, um an die Hinrichtung von Mohsen S. zu erinnern.
Foto: Ximena Borrazas

Die erneute Hinrichtung eines Demonstranten im Iran hat in Europa für Entsetzen und Empörung gesorgt. Die Außenminister der EU-Staaten verurteilten geschlossen die Exekution des wegen »Kriegsführung gegen Gott« angeklagten Madschid-Resa R. und forderten die sofortige Annullierung aller noch nicht vollstreckten Todesurteile.

Zudem wurden weitere Sanktionen verhängt - einerseits wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen rund um die seit bald drei Monate andauernden Proteste im Iran, andererseits wegen der iranischen Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine.

Die Sanktionen wegen der Menschenrechtsverletzungen treffen nach dem Beschluss der Außenminister 20 Personen sowie die staatliche Rundfunkgesellschaft IRIB. Letzterer wird von der EU vorgeworfen, aktiv an der Organisation und Ausstrahlung von durch Einschüchterung und schwere Gewalt erzwungenen »Geständnissen« von Regimekritikern beteiligt zu sein. Diese »Geständnisse« werden demnach häufig im Anschluss an öffentliche Proteste oder vor einer Hinrichtung ausgestrahlt, um ein Aufbegehren der Öffentlichkeit gering zu halten.

Unter den betroffenen Personen sind laut EU-Amtsblatt unter anderem Befehlshaber des Korps der Iranischen Revolutionsgarden. »Wir haben mit dem Sanktionspaket insbesondere diejenigen in den Blick genommen, die für diese Hinrichtungen, die für diese Gewalt gegen unschuldige Menschen verantwortlich sind«, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Brüssel. Die Exekutionen bezeichnete sie als unglaubliche Verbrechen und als unverhohlenen Einschüchterungsversuch gegen Menschen, die ihre Meinung auf die Straße tragen. Sie seien ohne einen fairen Prozess erfolgt.

Zwiter Demonstrant hingerichtet

Kurz vor dem Beginn des Außenministertreffens war bekannt geworden, dass iranische Behörden im Zuge der systemkritischen Proteste einen zweiten Demonstranten hinrichten ließen. Madschid-Resa R. wurde nach Angaben der Justiz in der Stadt Maschad im Nordosten des Landes öffentlich gehängt. Der Mann soll während der Proteste im November zwei Mitglieder der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einem Messer getötet haben.

Zuvor war am vergangenen Donnerstag bereits der Rap-Musiker Mohsen S. hingerichtet worden. Seine Exekution war die erste gewesen, die im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten seit Mitte September bekanntgeworden war. Mohsen S. soll ein Basidsch-Mitglied mit einer Waffe angegriffen, Schrecken verbreitet und eine Straße blockiert haben.

Die Nachricht der Hinrichtung löste im Iran Empörung und Wut aus. »Wer Wind sät, wird Sturm ernten« oder »Wir werden das Blut der Unschuldigen rächen« waren Reaktionen der Systemgegner in sozialen Medien. Die regierungsnahe Tageszeitung »Resalat« schrieb hingegen: »Begnadigung ist gut, aber im Islam ist Gerechtigkeit wichtiger«.

Mehr als 475 Demonstranten bei Protesten getötet

Auslöser der derzeitigen Proteste im Land war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Sie starb am 16. September im Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Zehntausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.

Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden bisher mindestens 18 000 Teilnehmer von Demonstrationen festgenommen, mehr als 475 Demonstranten sollen bei den Protesten getötet worden sein. Laut Amnesty International (AI) sind auch Minderjährige getötet worden. Bislang seien mindestens 44 Kinder und Jugendliche - teils Teilnehmer an den Protesten, teils unbeteiligt daran - durch »rechtswidrige Gewalt« der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen, hieß es in einer veröffentlichten Mitteilung der Menschenrechtsorganisation. Der Großteil der Minderjährigen sei durch Schüsse in den Kopf, das Herz oder andere lebenswichtige Organe getötet worden.

Mindestens vier Kinder seien zudem durch von Sicherheitskräften aus kurzer Distanz abgefeuerte Metallgeschosse getötet worden, fünf weitere seien an den Folgen von Schlägen gestorben. Ein Mädchen sei gestorben, nachdem sie von einem Tränengaskanister am Kopf getroffen worden sei. Zu den von Amnesty dokumentierten minderjährigen Opfern gehören 39 Jungen im Alter von zwei bis 17 Jahren und fünf Mädchen, von denen drei 16 Jahre, eines 17 Jahre und eines sechs Jahre alt waren.

Demonstranten werden von der Staatsführung immer wieder als Terroristen oder Krawallmacher bezeichnet. Die Organisation Amnesty International veröffentlichte am Montag einen Bericht, demzufolge mindestens 44 Kinder und Jugendliche durch »rechtswidrige Gewalt« der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen seien. Die Angaben können nicht unabhängig verifiziert werden.

Bereits Mitte Oktober und Mitte November hatte die EU erste Sanktionspakete wegen der Geschehnisse im Iran beschlossen. Sie richteten sich unter anderem gegen die iranische Sittenpolizei und den inneren Machtzirkel der Revolutionsgarden. Insbesondere wurden auch Mitglieder der Basidsch-Milizen sanktioniert, die von der EU für den Tod mehrerer Demonstranten verantwortlich gemacht werden.

Brutale Vorgehensweise gegen Demonstranten

Die »Basidschis« sind freiwillige Milizen der iranischen Revolutionsgarden und werden unter anderem zur Unterdrückung von Protesten eingesetzt. Sie gelten als die treuesten Anhänger des Systems, von denen gesagt wird, sie seien bereit, ihr Leben als Märtyrer zu opfern. Auch bei den jüngsten Protesten gingen die »Basidschis« Augenzeugen zufolge äußerst brutal gegen die Demonstranten vor. Daher richten sich die Wut und Aggressionen der Demonstranten insbesondere gegen die Basidsch-Milizen.

Moderate Kreise im Land warnen vor einer weiteren Eskalation und fordern unter anderem Neuwahlen, um die politische Krise friedlich zu beenden. Für sie sind Präsident Ebrahim Raisi, seine Regierung sowie die Hardliner im Parlament und in der Justiz nicht mehr tragbar. Beobachtern zufolge rückt eine derartige Option nach der Hinrichtung des zweiten Demonstranten und der voraussichtlichen Vollstreckung weiterer Todesurteile allerdings in weite Ferne.

Unabhängig von den Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen hatte die EU im Oktober bereits Sanktionen gegen den Iran wegen der Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine verhängt. Von ihnen sind bislang das Unternehmen Shahed Aviation Industries sowie drei ranghohe Militärs betroffen. Sie sind nach Auffassung der EU an der Entwicklung und Lieferung von Kampfdrohnen an Russland beteiligt, die von Russland gegen die Ukraine eingesetzt werden.

Iran verhängt Gegensanktionen

Der Iran reagierte mit Gegensanktionen - darunter auch gegen mehrere Deutsche. Auf einer auf der Website des Außenministeriums am Montagnachmittag veröffentlichten Liste standen unter anderem die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Sie alle wurden mit einem Einreiseverbot in den Iran belegt und dürfen künftig auch an keinen offiziellen Treffen mit Vertretern der Islamischen Republik mehr teilnehmen. Die EU-Sanktionen sehen Einreiseverbote und sowie Einfrieren von Vermögenswerten in der EU vor.

© dpa-infocom, dpa:221212-99-867960/11