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Impfgipfel wird möglicherweise am Freitag nachgeholt

Erst am Donnerstag will die zuständige EU-Behörde über die weitere Verwendung des Astrazeneca-Impfstoffs entscheiden. Der Impfgipfel mit der Kanzlerin bleibt bis dahin ausgesetzt. Doch mancher hält dies für fatal.

Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Impfgipfel mit der Kanzlerin wird verschoben. Foto: Markus Schreiber/AP POOL/dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Impfgipfel mit der Kanzlerin wird verschoben. Foto: Markus Schreiber/AP POOL/dpa

BERLIN. Bund und Länder wollen möglicherweise an diesem Freitag zu Beratungen über die weitere Impfstrategie in Deutschland zusammenkommen.

Dann soll die Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Sicherheit des Impfstoffs von Astrazeneca vorliegen, dessen Verabreichung in Deutschland seit Montag gestoppt ist. »Die Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder soll zeitnah nach der EMA-Entscheidung nachgeholt werden, möglicherweise schon am Freitag«, sagte ein Regierungssprecher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Ursprünglich waren die Beratungen der Spitzen von Bund und Ländern zur weiteren Impfkampagne in Deutschland für diesen Mittwoch angesetzt; sie wurden abgesagt, nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Impfungen mit dem Wirkstoff von Astrazeneca vorübergehend als Vorsichtsmaßnahme gestoppt hatte.

Die Opposition hält die Verschiebung allerdings für eine »schwere Fehlentscheidung«, wie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sich ausdrückte. »Unsere Forderung ist es, dass der Impfgipfel umgehend stattfindet.« Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: »Genau in solch unklaren Situationen braucht es dringend mehr Austausch und Koordination.« Ähnlich äußerte sich Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte: »Wann, wenn nicht jetzt, muss über das Impfdebakel gesprochen werden?«

Bei den für Mittwoch geplanten Bund-Länder-Beratungen sollte es vor allem um die Frage gehen, wann auch Hausärzte auf breiter Front mitimpfen. Ursprünglich war dies spätestens für die Woche ab dem 19. April vorgesehen - dies ist nun aber ungewiss. Spahn hatte - wie mehrere andere europäische Länder - Impfungen mit Astrazeneca am Montag vorsichtshalber gestoppt. Hintergrund waren Berichte über Blutgerinnsel in zeitlichem Zusammenhang mit dem Impfprozess.

Die Amsterdamer EU-Arzneimittelbehörde EMA will am Donnerstag eine Empfehlung zur weiteren Verwendung des Impfstoffs abgeben. Bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen hält EMA-Chefin Emer Cooke den Nutzen des Astrazeneca-Produkts allerdings für größer als die Gefahren. Wenn man Millionen Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass man anschließend seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe, sagte Cooke. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat offenbar keine Bedenken. Auf die Frage, ob sie sich den Astrazeneca-Impfstoff verabreichen lassen würde, antwortete ihr Sprecher: »Natürlich.«

Vom Astrazeneca-Konkurrenten Biontech/Pfizer soll die Europäische Union kurzfristig weitere zehn Millionen Dosen Impfstoff bekommen. Damit seien allein von diesem Hersteller im zweiten Quartal insgesamt 200 Millionen Impfdosen für die 27 EU-Staaten zu erwarten, teilte von der Leyen mit.

In Deutschland hatte das für die Impfstoff-Sicherheit zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eine Aussetzung der Impfungen mit Astrazeneca empfohlen. »Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger wollen sich darauf verlassen, dass die Impfstoffe, die wir anbieten, sicher sind und wirksam sind«, erklärte PEI-Präsident Klaus Cichutek in der ARD. Nach Angaben seines Instituts waren in Deutschland sieben Fälle mit Thrombosen (Blutgerinnseln) der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang zur Impfung gemeldet worden, bei Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren, drei endeten tödlich. Die Zahl der Fälle ist demnach statistisch signifikant höher als in der Bevölkerung ohne Impfung: »Etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen, sieben Fälle waren gemeldet worden«, hieß es.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: »Wenn Astrazeneca ganz ausfallen würde, wäre es für Europa eine ganz bittere Sache.« Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hält einen Zusammenhang zwischen den Astrazeneca-Impfungen und den gemeldeten Thrombosen für sehr wahrscheinlich, plädierte in der ARD aber wie die EMA trotzdem für eine Fortsetzung. Fraktionskolleginnen widersprachen ihm aber mit Hinweis auf die Zuständigkeit des Ehrlich-Instituts. »Wenn es empfiehlt, Impfungen mit Astrazeneca auszusetzen, dann sollte man dem folgen«, sagte Fraktionsvize Bärbel Bas dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hofft auf eine weitere Nutzung des umstrittenen Impfstoffs. Die Entscheidung darüber dürfe aber nicht politisch getroffen werden, sondern müsse rein fachlich sein.

Unter Medizinern gibt es ebenfalls keine einheitliche Meinung. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, warb in verschiedenen Interviews dafür, die Impfungen parallel zur Überprüfung der Einzelfälle fortzusetzen. Der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, sagte hingegen dem RND, er könne nachvollziehen, dass man nach Vorfällen wie in Dänemark erst einmal prüfe, bevor man weiter impfe.

Dänemark hatte als erstes Land Astrazeneca-Impfungen ausgesetzt, nachdem es im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung einen Todesfall gab. Andere Länder zogen nach - darunter auch Deutschland. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) äußerte Verständnis für den Stopp: Man könne von einem Politiker nicht erwarten zu sagen: »Setz dich über alle wissenschaftlichen Meinungen hinweg und sag einfach «Wir machen lustig weiter».«

Allein im Hochinzidenzland Thüringen fallen durch den Impfstopp allerdings täglich rund 2800 Impftermine aus. In Berlin entsteht nach Müllers Worten ebenfalls eine »Riesenlücke«.

Die Opposition zeigte wenig Verständnis. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer rief Merkel auf, die Steuerung der Impfstrategie sofort an sich ziehen. Die Linke forderte das Ende von Spahns Amtszeit. Wenn er nicht zurücktrete, solle die Kanzlerin ihn entlassen, verlangte der gesundheitspolitische Fraktionssprecher Achim Kessler. (dpa)