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Grünen-Politikerin Antje Vollmer ist tot

Sie war die erste grüne Bundestagsvize und Teil der rein weiblichen, »legendären« Dreierspitze ihrer Partei. Die Theologin Antje Vollmer ist im Alter von 79 Jahren gestorben.

Antje Vollmer
Nach langer schwerer Krankheit gestorben: Antje Vollmer. Foto: Uwe Zucchi
Nach langer schwerer Krankheit gestorben: Antje Vollmer.
Foto: Uwe Zucchi

Die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer gehörte zu den Grünen-Politikerinnen, die weit über die Grenzen ihrer Partei hinaus geschätzt wurden. Mit einem gesunden Machtinstinkt ausgestattet, galt sie als Vermittlerin zwischen scheinbar unüberwindlich geltenden Positionen. Am Mittwoch ist sie mit 79 Jahren gestorben.

Sie sei im Kreise der Familie nach langer schwerer Krankheit friedlich gestorben, sagte ihr Sohn Johann Vollmer am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Die promovierte Theologin war zwischen 1994 und 2005 Bundestagsabgeordnete ihrer Partei und Vizepräsidentin des Bundestags. »Ich verneige mich vor einer großen Grünen«, schrieb Partei-Urgestein Jürgen Trittin auf Twitter.

Der Bundestag unterbrach am Donnerstag eine laufende Debatte über das 49-Euro-Ticket für eine Schweigeminute. Die amtierende Präsidentin Yvonne Magwas (CDU) sprach Vollmers Familie das Mitgefühl des Parlaments aus und bat die Abgeordneten um ein kurzes Innehalten in Gedenken an Vollmer.

Grüne würdigen Vollmers Verdienste

»Sie war von Beginn an dabei und hat Vieles von dem durchgekämpft, wovon wir heute profitieren«, schrieb Vollmers Parteikollegin Katrin Göring-Eckardt auf Twitter. »Und sie hat ihren eigenen Kopf behalten, unbeugsam! Danke Antje.« Göring-Eckardt war 2005 als grüne Vizepräsidentin des Bundestags auf Vollmer gefolgt.

Die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge sowie die beiden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour erinnerten in einer gemeinsamen Mitteilung an Vollmers Wirken. »Auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag prägte sie unsere Partei und unser Land als Ganzes durch ihr politisches und gesellschaftliches Engagement«, schrieben die Spitzen-Grünen. »Antje Vollmer war bekannt dafür, ihre Meinung, Werte und Überzeugungen konsequent zu vertreten. Dabei war sie durchaus streitbar.«

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) würdigte Vollmers politische Leistung. »Mit Antje Vollmer verlieren wir eine Grüne der Gründergeneration, die eine engagierte Kämpferin für Frauenrechte, für Menschenrechte, für die Demokratie und auch für die Kultur war«, erklärte Roth. »Das ist ein großer Verlust und trauriger Tag.«

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb an den Sohn der Verstorbenen, Vollmer sei eine ebenso leidenschaftlich wie profilierte Politikerin gewesen. Bereits in ihren ersten Jahren im Parlament, etwa während der Diskussionen um den Nato-Doppelbeschluss, habe sie sich großen Respekt erworben. »Als erste Bundestags-Vizepräsidentin der Grünen setzte sie mit ihrer Fähigkeit zum Dialog und ihrer klaren, engagierten Amtsführung ein Zeichen.«

Teil des »Feminats« in den 80ern

Auch die Politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, erinnerte an Vollmer. »Meine Gedanken sind bei ihren Hinterbliebenen. Mein herzliches Beileid«, schrieb Büning.

Die gebürtige Westfälin Vollmer (*31. März 1943) betrat 1983 die politische Bühne. Damals zog sie für die ökologisch-kritische Initiative »Bauernblatt« auf der offenen Liste der Grünen in den Bundestag ein.

1984 wurde sie in den ausschließlich aus Frauen bestehenden Fraktionsvorstand gewählt - die Partei hatte das »Feminat« ausgerufen. Mit Waltraud Schoppe und Annemarie Borgmann bildete Vollmer eine gleichberechtigte Dreierspitze als Sprecherinnen. »Die weibliche 3-er Spitze war legendär«, schrieb Göring-Eckardt auf Twitter. Bis zum vorübergehenden Ausscheiden der West-Grünen aus dem Bundestag Ende 1990 blieb Vollmer, mit Unterbrechungen, eine der Fraktionssprecherinnen.

Kritik an der jüngsten Ukraine-Politik

Ab 1985 hatte sie sich zunehmend für den Dialog mit inhaftierten RAF-Häftlingen engagiert. Bei den Grünen gehörte Antje Vollmer zunächst eher zum linken Flügel und bemühte sich später mit dem von ihr 1988 initiierten »Grünen Aufbruch«, die Gräben zwischen »Realos« und »Fundis« zu überwinden. Unumstritten blieb Vollmer aber auch in der eigenen Partei nie. So wandte sie sich etwa gegen den deutsch-deutschen Einheitsvertrag, der ihrer Meinung nach die Einheit auf die »teuerste nur mögliche Weise« herstellte. Zuletzt hatte sie sich öffentlich kritisch zum Kurs der Bundesregierung im Ukraine-Krieg geäußert.

Anfang der 1990er Jahre zog sich Vollmer aus der Parteipolitik für eine Zeit lang zurück. Sie arbeitete in einer Epilepsie-Klinik in Bethel und betätigte sich als Publizistin.

Bei der Bundestagswahl 1994 kehrte Vollmer über die hessische Landesliste ins Parlament zurück und wurde - sensationell mit Stimmen der Regierungskoalition, allerdings ohne die der SPD - als erste Grünen-Politikerin zur Vizepräsidentin des Bundestages gewählt.

© dpa-infocom, dpa:230316-99-976346/7