Logo
Aktuell Ausland

Giftattacke auf Ex-Spion: Wann wird Moskau wie reagieren?

Nach den Strafmaßnahmen Großbritanniens gegen Russland wegen der Giftattacke auf einen Ex-Doppelagenten wird eine weitere Eskalation in dem Konflikt befürchtet.

London/Moskau. Das russische Außenministerium wertete die von Premierministerin Theresa May verkündeten Sanktionen als »beispiellose grobe Provokation« und kündigte eine baldige Antwort an.

Ein exakter Zeitpunkt wurde dafür allerdings nicht genannt. Die Regierung in London hatte am Mittwoch erklärt, dass 23 russische Diplomaten das Land binnen einer Woche verlassen müssen.

Zudem werden bilaterale Kontakte »auf hoher Ebene« auf Eis gelegt. London zog auch eine Einladung an den russischen Außenminister Sergej Lawrow zu einem Besuch in Großbritannien zurück. Regierungsvertreter und Mitglieder des Königshauses werden nicht zur Fußball-WM nach Russland reisen. Russischer Staatsbesitz werde eingefroren, wo immer die Regierung Belege habe, dass er für Geheimoperationen gegen Großbritannien genutzt werde. Zudem verschärft London Kontrollen von Privatfliegern, beim Zoll und Frachtverkehr.

Zuvor hatte Russland ein britisches Ultimatum zur Aufklärung der Herkunft des bei dem Attentat verwendeten Nervengifts verstreichen lassen. Die extrem gefährliche Substanz war einst in der Sowjetunion entwickelt worden. Woher das Gift für den Anschlag kam, ist nicht geklärt. Moskau wies die britischen Vorwürfe vehement zurück und drohte Konsequenzen an.

Das russische Außenministerium teilte mit, es sei inakzeptabel, dass die britische Regierung zu Sanktionen greife. London opfere zur Durchsetzung seiner politischen Interessen die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Das Verhältnis zwischen Russland und Großbritannien ist schon lange angespannt. Bereits mehrfach haben London und Moskau gegenseitig Diplomaten ausgewiesen.

Im UN-Sicherheitsrat in New York lieferten sich die beiden Länder am Mittwoch bei einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung einen Schlagabtausch. Premierministerin May sorge für eine »hysterische Atmosphäre«, sagte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja. Großbritannien werde sich nicht von Russlands »Leugnungen, Ablenkungen und Drohungen« beirren lassen, entgegnete der britische UN-Botschafter Jonathan Allen. UN-Generalsekretär António Guterres hatte sich zuvor »zutiefst besorgt« über die Lage gezeigt.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, bekräftigte in der Sitzung, die USA seien mit Großbritannien absolut solidarisch. »Die USA gehen davon aus, dass Russland für den Angriff auf zwei Minschen im Vereinigten Königreich verantwortlich ist, bei dem militärisches Nervengift eingesetzt wurde.«

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte Moskau zu Transparenz auf. Die Befunde der britischen Regierung seien ernst zu nehmen, sagte Merkel am Mittwochabend in der ARD-Sendung »Farbe bekennen«. Dennoch könnten nicht alle Kontakte abgebrochen werden, »denn man muss ja auch mit den russischen Verantwortlichen immer wieder sprechen, trotz aller Meinungsverschiedenheiten«.

Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian kündigte am Mittwochabend in Paris an, eine Antwort auf den Giftanschlag mit London abzustimmen. Es sei nicht nur die Sicherheit eines der wichtigsten Verbündeten Frankreichs betroffen, sondern auch die europäische Sicherheit, sagte er.

Für Sanktionen gegen die Eliten in ihrem Land sprach sich auch die russische Präsidentschaftskandidatin Xenia Sobtschak aus. »Sollte Moskau hinter dem Nervengift-Anschlag stecken, sind neue Sanktionen des Westens unausweichlich«, sagte die russische TV-Ikone der »Bild«-Zeitung (Donnerstag). Auch Konzerne wie die Energieriesen Rosneft oder Gazprom müssten ins Visier genommen werden. Sobtschak ist die einzige Frau bei der Wahl an diesem Sonntag. Ihre Bewerbung ist chancenlos - Umfragen zufolge ist Wladimir Putins Sieg sicher.

Der Ex-Doppelagent Sergej Skripal (66) und seine Tochter Yulia (33) waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank in der südenglischen Kleinstadt Salisbury entdeckt worden. Sie befanden sich am Mittwoch weiter in kritischem Zustand. Nach britischen Angaben wurden sie Opfer des chemischen Kampfstoffes Nowitschok.

Das Attentat auf Skripal erinnert an den Fall des Ex-Agenten Alexander Litwinenko, der 2006 in London mit radioaktivem Polonium vergiftet wurde. Auch damals führten die Spuren der Täter nach Moskau.