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G20 in der Krise: Uneinigkeit beherrscht den Gipfel

Krawalle wie beim G20-Gipfel in Hamburg bleiben in Buenos Aires aus. Aber ihre Differenzen lassen die Mächtigen der Welt zunehmend um ihre Handlungsfähigkeit ringen. Erst kurz vor Abschluss liegt der Entwurf einer Abschlusserklärung vor. Was ist davon zu halten?

Buenos Aires (dpa) - Im zehnten Jahr der Gipfel der großen Wirtschaftsmächte steckt die »Gruppe der 20« in einer schweren Krise. Bei dem zweitägigen Treffen der Staats- und Regierungschefs in Buenos Aires prallten Welten aufeinander.

Streitthemen waren Welthandel, Klimaschutz und Migration. Erst in letzter Minute legten die Unterhändler am frühen Samstagmorgen einen Entwurf für eine Abschlusserklärung vor. Auch die Eskalation zwischen Russland und der Ukraine sowie die Affäre um den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul überschatteten den Gipfel.

Nach ihrer Flugpanne konnte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erst mit zwölfstündiger Verspätung in das Ringen um die Handlungsfähigkeit der Gruppe der Staats- und Regierungschefs einschalten, die 2008 gegründet wurde und damals erfolgreich die Weltfinanzkrise meisterte. Im Ukraine-Konflikt um die Festsetzung ukrainischer Schiffe und Seeleute durch Russland vor der Krim vermittelte Merkel am Samstag bei einem Arbeitsfrühstück mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Aus Protest gegen das russische Vorgehen hatte US-Präsident Donald Trump ein Treffen mit Putin in Buenos Aires abgelehnt. Er setzt dafür - ähnlich wie die Ukraine - auf das Verhandlungsgeschick der Kanzlerin. Sie war erst am Freitagabend mit einer Linienmaschine gerade noch rechtzeitig zu einer Kulturveranstaltung im berühmten Teatro Colon mit anschließendem Gala-Dinner eingetroffen. Am Rande hatte die Kanzlerin schon kurz mit Putin gesprochen.

Am Samstag wollte Merkel auch für eine halbe Stunde mit Trump zusammentreffen. Dabei dürfte es ebenfalls um die Ukraine-Krise und auch die Sorgen der Europäer über mögliche US-Zölle auf Autos gehen, die besonders Deutschland treffen würden.

Trotz der schwerwiegenden Differenzen einigten sich die Unterhändler auf den Entwurf für eine Abschlusserklärung. Die letzten Streitpunkte hätten am frühen Samstagmorgen ausgeräumt werden können, sagte ein ranghoher EU-Beamter. Der Entwurf wurde den Staats- und Regierungschefs zur Zustimmung vorgelegt. Umstritten waren bis zuletzt wichtige Punkten wie Handel, Klimawandel und Migration.

In allen Fragen seien nun aber Kompromisse gefunden worden, hieß es. Allerdings erwarteten Beobachter eher einen Minimalkonsens. Als größter Erfolg wurde von EU-Seite verbucht, dass sich die Gruppe dazu verpflichten würde, die Reform der Welthandelsorganisation WTO voranzutreiben, um eine bessere Einhaltung gemeinsamer Spielregeln zu ermöglichen. Zudem soll in der Erklärung darauf verwiesen werden, dass man weiter im großen Kreis gemeinsam an der Lösung von Problemen arbeiten will. Angesichts der Alleingänge des US-Präsidenten wurde dies von Diplomaten schon als Erfolg gewertet.

Trump hatte sich zuletzt selbst als Nationalisten bezeichnet. Zudem kündigte er den Ausstieg der USA aus multilateralen Abkommen wie dem Pariser Klimavertrag für eine Begrenzung der Erderwärmung oder dem Abkommen zur Verhinderung von Atomwaffen in den Händen des Irans an. Einen G20-Gipfel ohne Abschlusserklärung hat es noch nie gegeben. Beim G7-Gipfel der großen Industrienationen in Kanada hatte Trump das vereinbarte Papier auch noch nachträglich platzen lassen.

Der US-Präsident und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wollten nach Abschluss des Gipfels einen Versuch machen, ihren Handelskrieg zu beenden oder zumindest einen »Waffenstillstand« zu vereinbaren. Bei einem Abendessen sollte es darum gehen, wie die von den USA gegen China verhängten massiven Sonderzölle wieder aufgehoben können oder zumindest deren Ausweitung zu verhindern ist.

Eine weitere Eskalation des Konflikts der beiden größten Volkswirtschaften würde nach Auffassung des Internationalen Währungsfonds (IWF) die gesamte Weltwirtschaft belasten. »Wenn wir einen Deal erreichen könnten, wäre das gut«, sagte Trump. Die USA verlangen, dass China seinen Markt weiter öffnet und wirksam gegen Produktpiraterie und erzwungenen Technologietransfer vorgeht.

Japans Ministerpräsident Shinzo Abe, der als nächster den Vorsitz in der »Gruppe der 20« übernimmt, präsentierte sich auf dem G20-Gipfel als Vorkämpfer des Freihandels. Er sprach sich nachdrücklich gegen wachsende Hürden im Welthandel aus. »Protektionismus und handelshemmende Maßnahmen sind nicht im Interesse irgendeines Landes«, zitierte der Sprecher den Regierungschef, ohne direkt auf die Strafzölle einzugehen, mit denen Trump bilateral Konzessionen seiner Handelspartner erzwingen will.

China und Russland übten den Schulterschluss. Bei einem Treffen kamen Putin und Xi Jinping überein, ihre Koordination in der G20-Gruppe und anderen Organisationen auszubauen. Beide plädierten nach Angaben der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua dafür, den Multilateralismus, die Werte und Mechanismen der WTO und die Handelsliberalisierung zu wahren. Ohne die USA beim Namen zu nennen, sprachen sich Putin und Xi Jinping »gegen Alleingänge und Protektionismus« aus.

In Buenos Aires protestierten Tausende Menschen gegen den Gipfel, doch blieben die Demonstrationen friedlich. Die Demonstranten zogen über die Prachtstraße 9 de Julio und skandierten: »Raus mit Trump und den imperialistischen Führern!« Auf Transparenten war zu lesen: »Sie wollen Krieg und wir lassen sie nicht in Frieden.« An der Spitze des Zugs marschierten barbusige Frauen, die sich die Flaggen der G20-Länder auf den Oberkörper gemalt hatten. Rund 25 000 Polizisten und Soldaten sind im Einsatz.

Die »Gruppe der 20« aus 19 Ländern und der Europäischen Union repräsentiert zwei Drittel der Weltbevölkerung und 85 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Der G20 gehören neben der EU an: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei und die USA. Der nächste G20-Gipfel findet am 28. und 29. Juni 2019 im japanischen Osaka an.