ATHEN. Nach Einschätzung der EU-Grenzschutzagentur Frontex wird sich die Lage an der türkisch-griechischen Grenze nach einem Medienbericht in den kommenden Tagen stark zuspitzen.
»Es wird schwierig sein, den massiven Strom von Menschen, die sich auf die Reise gemacht haben, zu stoppen«, heißt es in einem internen Frontex-Bericht, aus dem die »Welt« zitiert. »Darum ist kurzfristig in den kommenden Tagen noch ein Anstieg des Drucks zu erwarten - auch sogar in dem Fall, dass die türkischen Behörden handeln sollten, um Grenzübertritte zu verhindern.«
Nach der Ankündigung der Türkei, die Grenzen zur EU zu öffnen, versuchen Tausende Migranten, nach Westeuropa zu gelangen. Laut UN harren rund 13.000 Migranten bei Kälte auf der türkischen Grenzseite zu Griechenland aus. Unter ihnen sollen auch viele Kinder sein. Frontex setzte die Alarmstufe für alle EU-Grenzen zur Türkei auf »hoch«. Zugleich verstärkte Griechenland seine Einheiten entlang der Grenze zur Türkei weiter. Die Regierung in Athen warf der Türkei vor, Migranten mit falschen Informationen dazu zu bewegen, nach Griechenland und damit in die EU zu kommen.
Am Sonntag hatte die griechische Polizei schwere Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt, um die Migranten am Übertritt zu hindern. Sie hatten nach Medien Steine und andere Gegenstände auf die Bereitschaftspolizei geschleudert.
In dem Frontex-Bericht heißt es laut »Welt«: »Nachrichten in den sozialen Medien erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Massenbewegung von der Türkei aus hin zu den EU-Grenzen.« Griechenland wird einen Monat lang keine neuen Asylanträge annehmen. Das teilte Regierungschef Kyriakos Mitsotakis auf Twitter mit. Außerdem gilt in dem Land für Sicherheitskräfte die höchste Alarmstufe. Diese gelte sowohl für das Militär als auch für die Polizei, teilte ein Regierungssprecher im Staatsfernsehen mit.
EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas wird nach eigenen Worten an diesem Montag in Berlin sein. Er hatte am Wochenende eine baldige Sondersitzung der EU-Innenminister gefordert. Eine EU-Sprecherin erklärte, die Europäische Union sei in konstantem Kontakt mit den türkischen Autoritäten. »Das unerträgliche humanitäre Desaster in und um Idlib verlangt dringend, dass wir handeln.«
Der SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans setzt in der Lage in Syrien auf Diplomatie. Den Konflikt löse man nicht mit mehr, sondern mit weniger Militär. "Ein wichtiger Beitrag Europas dazu wäre es, den Druck auf die Konfliktparteien zu erhöhen, um die Lage zu deeskalieren, wie es Frankreich und Deutschland bereits begonnen haben, sagte Walter-Borjans der "Welt".
Die Türkei hat rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. In einem Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 hat die Türkei eigentlich zugesagt, gegen illegale Migration vorzugehen. Das Abkommen sieht zudem vor, dass die EU alle Flüchtlinge und Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug nimmt die EU regulär Syrer aus der Türkei auf. Ankara erhält zudem finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge im Land.
Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow reist an diesem Montag nach Ankara, um mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über die Lage in Syrien und Flüchtlingsbewegungen zu sprechen. Wie die bulgarische Regierung mitteilte, werden die beiden bei einem Abendessen »Handlungen erörtern, die zur Bewältigung der Krise in Syrien und zum Stopp des Migrationsdrucks beitragen werden«.
Deutschland könnte nach Ansicht der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, mehr Flüchtlinge aufnehmen. Sie sagte der »Saarbrücker Zeitung«, es gebe viele Kommunen, die Kapazitäten hätten und bereit seien, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. »Das sollten wir nutzen.«
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, sieht inzwischen das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei auf der Kippe. »Solange Erdogan die Flüchtlinge nicht wie vereinbart in der Türkei unterbringt, darf die EU die zweite Tranche der Milliardenhilfen nicht weiter auszahlen und keine Verhandlungen über eine dritte Tranche beginnen«, sagte Schmid der »Welt«. (dpa)