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Friedensnobelpreisträger Gorbatschow mit 91 Jahren gestorben

Bis zuletzt kämpfte er für demokratische Freiheiten in Russland - nun ist Michail Gorbatschow gestorben. Weltweit würdigen Politiker und Politikerinnen die Leistungen »Gorbis«.

Michail Gorbatschow
Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, aufgenommen am Rande einer Pressekonferenz am 21.11.2011 in Berlin. Foto: Jörg Carstensen
Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, aufgenommen am Rande einer Pressekonferenz am 21.11.2011 in Berlin.
Foto: Jörg Carstensen

Er galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges: Nun ist der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow nach schwerer und langer Krankheit am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in Moskau gestorben. Das teilte das Zentrale klinische Krankenhaus (ZKB) der russischen Hauptstadt mit.

Am Mittwoch gab es zunächst noch keine Entscheidung, ob ein Staatsbegräbnis vorgesehen ist, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Nachrichtenagentur Interfax. Dies hänge auch von den Wünschen der Angehörigen und Freunde ab. Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der größtenteils gekappten Flugverbindungen gilt es zudem als unklar, ob überhaupt internationale Gäste zu einer Beerdigung nach Moskau kommen würden.

Weltweit trauerten Politikerinnen und Politiker um Gorbatschow und erinnerten an sein Vermächtnis. Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte Gorbatschow als mutigen Reformer. »Deutschland verneigt sich vor ihm«, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter. Seine Politik der Perestroika (Umbau) habe die Grundlage dafür gelegt, den Kalten Krieg zu überwinden, Grenzbäume wegzuräumen und Europa und Deutschland wieder zu vereinen. »Er stirbt in einer Zeit, in der Russland neue Gräben durch Europa und neue Grenzen ziehen will - und die Ukraine überfallen hat.«

Nach der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin fügte Scholz hinzu: »Ich hoffe, dass der russische Staat seinem früheren Staats- und Regierungschef die Ehre erweist, die ihm gebührt.« Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete Gorbatschow am Rande eines EU-Außenministertreffens in Prag als zentrale Person für die Geschichte Deutschlands.

Putin findet lobende Worte

Russlands Staatschef Wladimir Putin fand in einem vom Kreml veröffentlichten, kurz gehaltenen Beileidstelegramm an die Angehörige lobende Worte für Gorbatschows Reformanstrengungen und humanitären Einsatz. »Michail Gorbatschow war ein Politiker und Staatsmann, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt hat«, schieb der Kremlchef. Gorbatschow hatte Putin mehrfach für die Einschränkungen von Freiheit und Demokratie in Russland kritisiert.

Der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny würdigte Gorbatschow auf Twitter als »herausragenden Mann«. Von dessen Tod habe er über die Lautsprecher in den Gefängniszellen erfahren.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte Gorbatschow einen »großen Staatsmann«, der in den vergangenen Jahren darunter gelitten habe, dass sein Traum von Zusammenhalt und Frieden in Europa in immer weitere Ferne rückte. »Heute liegt der Traum in Trümmern, zerstört durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine«, betonte Steinmeier.

Glasnost und Perestroika

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte auf ihrer Internet-Seite, sie habe die Nachricht von Gorbatschows Tod mit großer Trauer vernommen. Ohne dessen Bekenntnis »zu Glasnost und Perestroika, also zu Offenheit und Umbau, wäre auch die friedliche Revolution in der DDR nicht möglich gewesen«.

Gorbatschow, im Nordkaukasus geboren, war der letzte Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Mit seiner Politik von Glasnost und Perestroika hatte er zuvor einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System der UdSSR bis dahin nie da gewesene Freiheiten.

1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. 1991 trat er als sowjetischer Präsident zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste.

Der Politiker, der in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden musste, wurde seither weltweit geschätzt: Unter seiner Führung hatte die Sowjetunion in den 1980er Jahren mit den USA auch wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen.

Besonders die Ostdeutschen verehren »Gorbi«, wie sie ihn nennen, bis heute als Staatsmann, der ihnen vor mehr als drei Jahrzehnten die Freiheit brachte. Ein Großteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei- und Staatschef allerdings stets als Totengräber der Sowjetunion - und als einen Politiker ohne Machtinstinkt.

Politische Stiftung in Moskau

Bis zu seinem Tod kümmerte sich Gorbatschow um seine eigene politische Stiftung in Moskau. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein. Außerdem schrieb er zahlreiche Bücher und war auch Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung »Nowaja Gaseta«, die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt.

US-Präsident Joe Biden kondolierte Gorbatschows Familie und Freunden und erklärte: »Michail Gorbatschow war ein Mann mit einer bemerkenswerten Vision.« Er habe sich in der Sowjetunion nach Jahrzehnten brutaler politischer Unterdrückung für demokratische Reformen eingesetzt und dabei den Mut gehabt, seine gesamte Karriere zu riskieren. »Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen.«

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Bedeutung Gorbatschows für Europa heraus. »Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs«, schrieb von der Leyen auf Twitter. »Er ebnete den Weg für ein freies Europa.«

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich »zutiefst traurig«. Gorbatschow sei ein »einzigartiger Staatsmann« gewesen, der den Lauf der Geschichte verändert habe, ließ Guterres mitteilen. Der britische Premierminister Boris Johnson warf Moskau vor, mit dem Ukraine-Krieg Gorbatschows Vermächtnis zu zerstören. Der Krieg sei »eine Tragödie, die Gorbatschow für undenkbar und ungerechtfertigt gehalten hätte«, sagte Johnson. Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte Gorbatschow auf Twitter als »Mann des Friedens«. Israels Staatspräsident Izchak Herzog nannte den Toten »eine der außergewöhnlichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts«.

Beerdigt wird Gorbatschow in Moskau auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente - neben seiner Frau Raissa. Das hatte der Staatsmann schon lange vor seinem Tod geregelt. Trauerfeier und Beerdigung finden am Samstag (3. September) statt.

© dpa-infocom, dpa:220830-99-571621/17