Trotz wiederholter Forderungen von Innen- und Justizministern lehnt die FDP die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung schwerer Verbrechen weiter ab. »Die Massenspeicherung der Kommunikationsdaten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist nicht mit dem freiheitlichen Charakter unserer Verfassungsordnung vereinbar. Auch der Koalitionsvertrag ist glasklar: Eine lückenlose Überwachung von Kommunikationsbeziehungen darf es nicht geben, auch nicht mit Blick auf die IP-Adresse«, sagte der Vize-Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, in Berlin.
Die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern sollten daher die anlasslose Vorratsdatenspeicherung bei ihrem Treffen in München »beerdigen«, betonte Kuhle. Wegen ihrer Corona-Infektion wird Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht in München dabei sein, sie wird von einem Staatssekretär vertreten. Um 15.30 Uhr wollen die Innen- und Justizminister bei einer Pressekonferenz über die Ergebnisse ihrer Beratungen berichten.
Das sagen andere Parteien
Bereits vor dem Treffen hatten die Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Joachim Herrmann, und der Justizministerkonferenz, Georg Eisenreich (beide CSU) ebenso wie Fachpolitiker anderer Parteien gefordert, dass die Behörden etwa für den Kampf gegen den Kindesmissbrauch die maximal rechtlich möglichen Befugnisse für die Speicherung von Telekommunikationsdaten benötigen. Als Beleg für den hohen Handlungsdruck hatten sie unter anderem auf die stark steigenden Fallzahlen zur Kinderpornografie verwiesen.
Der Europäische Gerichtshof hatte in der vergangenen Woche der Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten in Deutschland enge Grenzen gesetzt. Die Richter urteilten, dass die derzeit ausgesetzte Regelung in Deutschland mit dem EU-Recht unvereinbar ist. Sie erklärten aber, dass zur Bekämpfung schwerer Kriminalität eine Vorratsspeicherung der IP-Adressen möglich wäre.
Umsetzung in der Praxis
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) präferiert wie die FDP das »Quick-Freeze-Verfahren«. Dabei muss ein Richter im Verdachtsfall zunächst anordnen, dass bestimmte Daten gesichert werden dürfen. Bayern lehnt das Verfahren ab, da es nicht praxistauglich sei, um Verbrechen aufzuklären. Für Kuhle ist es dagegen eine gute Alternative, die den Ermittlern helfe und zugleich die Grundrechte schone. Es müsse daher schnell das »Quick-Freeze-Verfahren« beschlossen werden, alles andere sei ein Sicherheitsrisiko.
Weitere Themen sind der Umgang mit Extremisten im öffentlichen Dienst und das Vorgehen gegen missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen Ausreisepflichtige versuchen, in Deutschland zu bleiben mit der Angabe, sich hier um ein minderjähriges Kind kümmern zu müssen. »Das aktuelle Verfahren zur Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen funktioniert leider nicht ausreichend«, sagte der Herrmann der Deutschen Presse-Agentur in München. Der Bund prüfe zwar bereits den Reformbedarf, die Reform müsse »baldmöglichst umgesetzt werden«.
Die im Juli 2017 in Kraft getretenen Regelungen hätten sich in der Praxis nicht bewährt, sagte Herrmann. »Hiernach müssten die beurkundenden Behörden wie beispielsweise Notare, Jugendämter oder Standesämter bei konkreten Anhaltspunkten einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung die Beurkundung aussetzen und den Fall der zuständigen Ausländerbehörde übermitteln.« In der Praxis hätten die beurkundenden Stellen aber offenbar Schwierigkeiten, einen Sachverhalt festzustellen, aus dem Anhaltspunkte für einen Missbrauch ableitbar seien. Daher würden die Verfahren letztlich nicht zur Überprüfung an die Ausländerbehörden weitergeleitet.
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