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EU wird Visa-Erleichterungen für Russen aussetzen

Deutschland hat sich im EU-Streit über die Vergabe von Visa an Russen durchgesetzt. Ein weitreichendes Einreiseverbot wird es vorerst nicht geben - dafür aber deutlich mehr Flexibilität bei der Bearbeitung von Anträgen.

EU-Außenminister
Die Außenminister der Europäischen Union im Prager Kongresszentrum. Foto: Petr David Josek
Die Außenminister der Europäischen Union im Prager Kongresszentrum.
Foto: Petr David Josek

Die EU wird ein mit Russland geschlossenes Abkommen zur Erleichterung der Visa-Vergabe für Reisende vollständig aussetzen. Der Schritt werde dafür sorgen, dass die Zahl der neuen Visa für Russen signifikant sinke, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach Beratungen der Außenminister in Prag. Insbesondere schutzbedürftige Menschen sollten aber weiter ein Visum bekommen können.

»Wir wollen uns nicht von den Russen abschneiden, die gegen den Krieg in der Ukraine sind, wir wollen uns nicht von der russischen Zivilgesellschaft abschneiden«, betonte Borrell.

Das Aussetzen des Visa-Abkommens ist eine weitere Strafmaßnahme der EU in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der seit mehr als einem halben Jahr andauert. Der Schritt zielt darauf ab, den Mitgliedstaaten unkompliziert Einreisebeschränkungen für Russinnen und Russen zu ermöglichen und die Kosten und den Aufwand für Antragsteller zu erhöhen.

So wird zum Beispiel die grundsätzliche Festschreibung der Visumgebühr auf 35 Euro wegfallen und auch die Regelbearbeitungszeit von zehn Kalendertagen nach Antragseingang soll nicht mehr gelten.

Antragstellung könnte Monate dauern

Bundesaußenminister Annalena Baerbock (Grüne) sagte, dass die Antragstellung für Russen künftig im Zweifel Monate dauern könne. Gleichzeitig wird es nach ihren Angaben weiterhin möglich sein, zum Beispiel Studenten und Journalisten die Einreise zu ermöglichen. Ziel sei es auch zu verhindern, dass sich die Menschen aus Frust über westliche Sanktionen eher gegen die EU wenden als gegen ihren eigenen Präsidenten.

Bislang war das 2007 in Kraft getretene Visaerleichterungsabkommen nur für Geschäftsleute, Regierungsvertreter und Diplomaten außer Kraft gesetzt. Diese Entscheidung war am 25. Februar kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine getroffen worden.

Minimalkompromiss im EU-Streit

Die Aussetzung des Visa-Abkommens wurde maßgeblich auch von Deutschland vorangetrieben und gilt als Minimalkompromiss im seit Wochen anhaltenden EU-Streit um den Umgang mit Visa-Anträgen russischer Staatsangehöriger.

Länder wie Polen und Estland hätten sich eigentlich gewünscht, zumindest Urlaubs- und Shoppingreisen von Russen in die EU vollständig zu untersagen - unter anderem mit dem Argument, dass es nicht sein könne, dass reiche junge russische Männer in der EU Urlaub machten, während in der Ukraine Tausende junge ukrainische Männer durch den Krieg ihres Landes sterben.

Länder wie Deutschland und Frankreich argumentierten allerdings, dass man das russische Volk nicht für Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine in Sippenhaft nehmen dürfe. So soll es beispielsweise vor allem jungen Russen weiter möglich sein, durch Europa zu reisen. Der Einfluss, der von der unmittelbaren Erfahrung des Lebens in Demokratien ausgehen kann, sollte nicht unterschätzt werden, argumentierten Deutschland und Frankreich zuletzt in einem gemeinsamen Positionspapier zur Russland-Politik der EU. Dies beziehe sich insbesondere auf künftige Generationen.

Politiker wie der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg brachten zudem vor, dass die staatlichen Einschränkung der Pressefreiheit in Russland es Menschen gar nicht ermögliche, unabhängige Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt zu konsumieren.

Rund zehn Millionen Mehrfachvisa

Um den Vertretern eines harten Kurses entgegenzukommen, soll nun zumindest geprüft werden, ob ein Teil der rund zehn Millionen Mehrfachvisa mit einer Gültigkeitsdauer von mehreren Jahren für ungültig erklärt werden könnte. Zudem wurde noch einmal festgehalten, dass Reisepässe, die in von Russland besetzten ukrainischen Gebieten ausgegeben werden, nicht anerkannt werden.

Ob sich das Aussetzen des Visa-Abkommens deutlich auf die Zahl der durch deutsche Behörden erteilten Einreiseerlaubnisse für Russen auswirken wird, gilt als unklar. Von deutschen Behörden wurden nach Angaben aus Regierungskreisen von Anfang Januar bis Mitte August dieses Jahres etwa 15.000 Schengen-Visa für die Einreise in die Bundesrepublik ausgestellt.

Diese Zahl liegt bereits deutlich unter dem Durchschnitt vor der Corona-Pandemie. 2019 wurden den Angaben zufolge rund 30.000 Schengen-Visa pro Monat an Russen vergeben. Diese gelten für Kurzaufenthalte im Schengen-Raum, der neben Deutschland noch 25 andere europäische Länder umfasst.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach sich grundsätzlich für Visabeschränkungen für Russen aus. »Visabeschränkungen werden russischen Bürgern zu verstehen geben, dass Freiheit etwas ist, für das sie kämpfen müssen«, sagte er per Videoschalte bei einer Konferenz in Prag.

Deutschland wirbt für achtes EU-Sanktionspaket

Weiteres Thema bei den Beratungen der Außenminister war auch ein mögliches achtes Paket mit klassischen EU-Sanktionen gegen Russland. Man habe Vorschläge dazu gemacht, sagte Baerbock am Rande des Treffens, ohne Details zu nennen.

Nach den jüngsten Beratungen auf Ebene der G7-Gruppe der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte dürfte die Bundesregierung allerdings insbesondere auf die Einführung einer internationalen Preisobergrenze für russisches Öl dringen.

Baerbock warb in Prag zudem für neue EU-Leitlinien für den Umgang mit Russland. Da es kein Zurück mehr vor den 24. Februar geben werde, brauche man eine »strategische Neuausrichtung« der Russlandpolitik, sagte die Grünen-Politikerin in Anspielung auf den Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine. Zentral seien dabei vier Punkte. Diese seien die Stärkung der eigenen Wehrhaftigkeit, die Unterstützung von russischen Regimegegnern, die Unterstützung der Ukraine sowie die Zusammenarbeit mit weltweiten Partnern bei der Verteidigung des internationalen Rechts.

© dpa-infocom, dpa:220831-99-580942/9