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Erdogan verfehlt Mehrheit in Türkei - Stichwahl entscheidet

Die Präsidentenwahl in der Türkei war äußerst spannend - und geht nun in eine zweite Runde: Langzeit-Amtsinhaber Erdogan muss sich in zwei Wochen einer Stichwahl stellen.

Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält nach der Präsidentenwahl eine Rede in der Parteizentrale in Ankara. Foto: Ali Unal
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält nach der Präsidentenwahl eine Rede in der Parteizentrale in Ankara.
Foto: Ali Unal

Bei der Präsidentenwahl in der Türkei hat Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan die meisten Stimmen erhalten - muss sich aber einer Stichwahl stellen. Der Chef der Wahlkommission Ahmet Yener teilte am Montag mit, Erdogan habe nach dem vorläufigen Ergebnis die absolute Mehrheit knapp verpasst. Er muss nun am 28. Mai gegen den Zweitplatzierten Herausforderer Kemal Kilicdaroglu in einer Stichwahl antreten.

Weit abgeschlagen auf dem dritten Platz landete Sinan Ogan von der ultranationalistischen Ata-Allianz. Ihm könnte nun die Rolle des Königsmachers zufallen. Wahlbeobachter bemängelten, die Abstimmung in der Türkei habe nicht demokratischen Standards entsprochen.

Nach Angaben der Wahlbehörde entfielen auf Erdogan 49,51 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kilicdaroglu kam auf 44,88 Prozent. Der Drittplatzierte Ogan erreichte demnach 5,17 Prozent. In der Türkei waren am Sonntag rund 61 Millionen Menschen aufgerufen, ein neues Parlament und einen Präsidenten zu wählen. Im Ausland waren zusätzlich 3,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass stimmberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 88,9 Prozent auf einem Rekordniveau. Wegen der zu erwartenden innen- und außenpolitischen Auswirkungen galt die Wahl in der Türkei als eine der weltweit wichtigsten in diesem Jahr.

Wen wird Ogan unterstützen?

Beobachter gehen davon aus, dass Ogans Anhänger nach 20 Jahren Erdogan eine Veränderung wollten, aber in Kilicdaroglu und dessen Sechser-Bündnis keine Alternative sahen. Ogan sagte der Deutschen Presse-Agentur, er habe noch nicht entschieden, ob er Erdogan oder Kilicdaroglu bei der Stichwahl unterstütze. Er wünsche sich einige Zusicherungen, etwa beim Thema Kampf gegen den Terrorismus und der Rückführung von Flüchtlingen. Offen ist, ob Ogans gespaltene Anhängerschaft einer Wahlempfehlung folgen würde.

Das Ergebnis der Parlamentswahl gab die Wahlbehörde zunächst nicht bekannt. Es zeichnete sich jedoch ab, dass Erdogans Regierungsallianz ihre Mehrheit verteidigen konnte. Der Präsident hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 weitreichende Befugnisse, das Parlament mit seinen 600 Abgeordneten ist dagegen geschwächt.

Die prokurdische Oppositionspartei HDP, die Kilicdaroglu bei der Präsidentenwahl unterstützte, zeigte sich enttäuscht vom Wahlausgang. Co-Parteichef Mithat Sancar beklagte zudem Repressionen gegen seine Partei. Die Stimmauszählung in der Nacht lief teils chaotisch ab. Die Opposition hatte der Regierungspartei zwischenzeitlich vorgeworfen, die Werte für Erdogan zu schönen.

Wahlbeobachter bemängeln Abläufe

Bei der Stimmauszählung habe es an Transparenz gefehlt, bemängelte eine Delegation von Wahlbeobachtern des Europarats und der OSZE in Ankara. Die Wahlbehörde solle klarstellen, wie genau sie Wahlergebnisse veröffentliche. Die Beobachter kritisierten, dass Erdogan und seine Regierung durch die mediale Übermacht »ungerechtfertigte Vorteile« gehabt hätten. Die Opposition habe teilweise unter massivem Druck gestanden.

Erdogan (69) zeigte sich in der Nacht zu Montag gut gelaunt vor jubelnden Anhängern in Ankara und stimmte ein Lied an. Der 74-jährige Kilicdaroglu sagte: »Erdogan hat trotz seiner Diffamierungen und Beleidigungen nicht das Ergebnis erreicht, das er sich erwartet hatte.« Er zeigte sich überzeugt, dass die Opposition die zweite Runde gewinnen werde.

Seit 20 Jahren an der Macht

Erdogan wurde 2003 Ministerpräsident, seit 2014 ist er Staatspräsident. Im Wahlkampf hatte er mit Großprojekten in der Infrastruktur und Rüstungsindustrie geworben. Diese präsentierte er als Erfolge seiner Regierung. Angesichts einer grassierenden Inflation versprach er Wahlgeschenke wie Lohnerhöhungen für Beamte und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.

Oppositionsführer Kilicdaroglu kandidiert für ein Bündnis aus sechs Parteien unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung. Er ist unter anderem mit dem Versprechen angetreten, das Präsidialsystem wieder abzuschaffen, das Land zu demokratisieren und die massive Inflation zu senken.

© dpa-infocom, dpa:230515-99-692624/14