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Energiekrise im Fokus beim EU-Gipfel

Seit Monaten sucht die EU den richtigen Weg durch die Energiekrise. Muss Kanzler Scholz sich beim heutigen Treffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel erneut auf Kritik gefasst machen?

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Pressekonferenz in Berlin. Foto: Kay Nietfeld
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Foto: Kay Nietfeld

Beim EU-Gipfel droht neuer Streit über den richtigen Weg durch die Energiekrise. Im Zentrum der Aufmerksamkeit könnte bei dem Treffen heute in Brüssel wieder einmal Kanzler Olaf Scholz stehen. Grund dafür ist, dass Berlin einen von vielen Staaten geforderten Höchstpreis auf Gas und die Aufnahme neuer europäischer Schulden zur Bewältigung der Krise ablehnt.

Mit Blick auf den Plan, in der EU künftig gemeinsam Gas einzukaufen, hat dagegen Ungarn bereits Redebedarf angemeldet.

Neben der Energiekrise steht am ersten Tag des zweitägigen Treffens auch die weitere Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine auf der Tagesordnung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj soll per Video zugeschaltet werden. Doch dominieren dürfte die Frage: Was tun gegen Energieknappheit und hohe Preise? Die EU-Kommission hatte dazu am Dienstag neue Vorschläge vorgelegt. Diese blieben bei den umstrittenen Punkten jedoch vage.

Preise drücken mit geballter Marktmacht

Einen Gesetzesvorschlag machte die Behörde von Präsidentin Ursula von der Leyen für gemeinsame Gaseinkäufe. Ziel ist, dass Firmen in den EU-Staaten ihren Bedarf bündeln und in den Verhandlungen mit anderen Ländern so die Preise drücken können. Noch in diesem Jahr hatten sich die Länder auf dem Gasmarkt teils gegenseitig überboten.

Ziel ist, dass das neue System bis zum Frühling funktionsfähig ist. Die Bündelung der Nachfrage soll für die Unternehmen nur zum Teil verpflichtend sein. Ungarns Regierungschefs Viktor Orban ließ bereits wissen, was er von dem Plan hält. Dieser erinnere an die gemeinsamen EU-Einkäufe von Corona-Impfstoff: »langsam und teuer«. Er erwarte dazu eine große Diskussion beim Gipfel.

Weiter warten auf einen Gaspreisdeckel

Ebenso heiß diskutiert werden dürfte einmal mehr der von mehr als der Hälfte der EU-Staaten geforderte Gaspreisdeckel. Länder wie Deutschland und die Niederlande lehnen einen solchen Markteingriff ab und verweisen auf mögliche Probleme bei der Versorgung mit Gas, weil Verkäufer den Rohstoff dann an andere Länder liefern könnten, die mehr zahlen.

Anders als von Fürsprechern wie Belgien, Italien und Frankreich gefordert, machte die EU-Kommission am Dienstag keinen konkreten Vorschlag für einen solchen Höchstpreis. Sie stellte lediglich in Aussicht, dass im Fall extremer Preise als letztes Mittel ein beweglicher Preisdeckel am Gas-Großhandelsplatz TTF vorgeschlagen werden könnte. Zunächst einmal will die Behörde jedoch an einem neuen Preisindex für Flüssiggas (LNG) als Ergänzung zu dem Gaspreisindex am TTF arbeiten.

Außerdem kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, einen Höchstpreis für Gas, das zur Stromproduktion genutzt wird, zu prüfen. Dieses Modell haben Spanien und Portugal bereits eingeführt und die Strompreise für Verbraucher damit gesenkt - jedoch ist der Verbrauch seitdem gestiegen. Für Länder wie die Niederlande kommt ein solches Modell nicht infrage, weil der Großteil ihres Stroms aus Gas produziert wird. Auch die Bundesregierung ist skeptisch.

Woher das Geld für Entlastungen nehmen?

Uneins sind die EU-Staaten zudem in der Frage, wie ein solcher Preisdeckel und andere Entlastungen finanziert werden sollen. Deutschland und die Niederlande verweisen etwa darauf, dass in bestehenden Töpfen noch erhebliche Mittel bereit stünden oder schon mobilisiert würden. Die Bundesregierung will zum Ärger vieler Länder ein nationales Paket von bis zu 200 Milliarden Euro bis 2024 auflegen.

Viele Staaten können sich eine solche Unterstützung für die heimische Wirtschaft und die eigenen Bürger jedoch nicht leisten. Sie dringen deshalb auf eine EU-Lösung - und werfen Deutschland vor, der eigenen Volkswirtschaft einen Wettbewerbsvorteil im gemeinsamen Binnenmarkt zu verschaffen. Vor zwei Wochen musste Kanzler Scholz sich beim Gipfel in Prag bereits heftige Kritik anhören.

Staaten wie Italien wollen wie in der Corona-Krise auf europäischer Ebene Schulden aufzunehmen. Ein derartiges Programm könnte sich etwa am EU-Kurzarbeitsprogramm Sure orientieren. Dabei nimmt die EU-Kommission mit Hilfe von Garantien der EU-Staaten Kredite am Finanzmarkt auf und reicht sie weiter. Günstig ist das für Länder, die selbst mehr Zinsen am Finanzmarkt zahlen müssten.

Eine radikalere - und deutlich unwahrscheinlichere - Lösung wäre eine Wiederauflage des schuldenfinanzierten Corona-Aufbauprogramms »Next Generation EU«. Die nach derzeitigen Preisen rund 800 Milliarden Euro daraus werden sowohl als Kredite als auch als Zuschüsse an die EU-Staaten vergeben. Getilgt werden sollen die Schulden bis 2058 über den EU-Haushalt. Die Bundesregierung lehnt die Aufnahme neuer gemeinsamer Schulden ab.

© dpa-infocom, dpa:221020-99-189718/5