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Ende des liberalen Rechts auf Abtreibung droht in den USA

Ein altes Urteil regelt in den USA das Recht auf Abtreibung. Für die einen ein Meilenstein, für andere eine Fehlentscheidung. Könnte der Supreme Court das Urteil kippen? Ein geleakter Entwurf erweckt den Anschein.

Protest vor Supreme Court
Demonstrierende halten vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofs der USA in Washington Plakate mit Aufschriften wie »Abortion is Healthcare« (dt. Abtreibung ist Gesundheitsfürsorge) hoch. Foto: Jose Luis Magana
Demonstrierende halten vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofs der USA in Washington Plakate mit Aufschriften wie »Abortion is Healthcare« (dt. Abtreibung ist Gesundheitsfürsorge) hoch.
Foto: Jose Luis Magana

Es wäre eine tiefe Zäsur mit schwerwiegenden Folgen für Frauen in den USA: Das liberale Abtreibungsrecht des Landes könnte bald Geschichte sein.

Der Oberste Gerichtshof steht einem Bericht des Magazins »Politico« zufolge kurz davor, sein Grundsatzurteil zu Abtreibungen von 1973 zu kippen. Das geht aus einem vertraulichen Entwurf der Urteilsbegründung hervor, die dem Magazin vorliegt. Das Gericht bestätigte die Echtheit, betonte aber, es handle sich nicht um die finale Entscheidung. Eine derartige Vorab-Veröffentlichung gilt als extremer Bruch mit den Regeln des Gerichts.

Das Abtreibungsrecht ist in den USA immer wieder Thema heftiger Auseinandersetzungen. Gegner versuchen, die liberalen Regeln seit Jahrzehnten zu kippen.

Historische Urteile von 1973 und 1992 stehen infrage

Es gibt kein landesweites Gesetz, das Abtreibungen erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind in dem Land aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Grundlage dafür ist ein Urteil aus dem Jahr 1973, das als Roe v. Wade bekannt ist. Ein weiteres Urteil von 1992, Planned Parenthood v. Casey, bestärkte die Rechtsprechung und passte sie etwas an. Kippt der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court diese Rechtsprechung, wäre der Weg endgültig frei für schärfere Abtreibungsgesetze - bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten.

»Es ist an der Zeit, die Verfassung zu beherzigen und die Frage der Abtreibung wieder den gewählten Vertretern des Volkes zu überlassen«, heißt es in dem von »Politico« veröffentlichten Entwurf. »Wir denken, dass Roe und Casey zurückgewiesen werden müssen«, schreibt demnach Supreme-Court-Richter Samuel Alito in dem Dokument, das die Meinung der Mehrheit der Richterinnen und Richter wiedergeben soll. Der Entwurf ist auf den 10. Februar datiert. Unbekannt ist, ob er sich seither verändert hat oder es weitere Entwürfe gab.

Alle von Trump berufenen Richtern angeblich für Entwurf

Der Entwurf wird »Politico« zufolge neben Alito von vier weiteren Richtern unterstützt. Darunter sind die drei vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump ernannten Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Das Gericht bestätigte zwar die Authentizität des Entwurfs, betonte aber, dass es sich weder um die finale Entscheidung noch um die endgültige Position eines Richters handele. Es sei eine Untersuchung eingeleitet worden - die Veröffentlichung sei ein »Vertrauensbruch«, hieß es.

Unter Trump ist der Supreme Court deutlich nach rechts gerückt. Schon bei einer Anhörung Ende vergangenen Jahres deutete sich an, dass das Gericht das Abtreibungsrecht massiv beschneiden könnte.

Doch warum beschäftigt sich das Gericht überhaupt mit dem Thema? Hintergrund ist ein Abtreibungsgesetz aus dem Bundesstaat Mississippi, das fast alle Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Der konservativ regierte Bundesstaat hatte das Oberste Gericht angerufen, den Fall zu überprüfen. Dass sich das Gericht überhaupt mit dem Fall beschäftigt, war bereits als Zeichen gewertet worden, dass Roe v. Wade kippen könnte.

Konservative Staaten wollen Abtreibung verbieten

Der Entwurf sieht nun vor, es den Bundesstaaten zu überlassen, wie sie ihr Abtreibungsrecht regeln. Dies gilt als besonders drastisch. Einige Staaten haben bereits Gesetze vorbereitet, die sofort in Kraft treten könnten. Es sind vor allem die erzkonservativen Staaten im Süden und mittleren Westen, die Abtreibung ganz oder fast komplett verbieten wollen.

Liberale Staaten wie New York oder Kalifornien haben hingegen Gesetze, die das Recht auf Abtreibung ausdrücklich schützen. Für Schwangere würde dies zur Folge haben, Hunderte oder gar Tausende Meilen reisen zu müssen, um eine Abtreibungsklinik zu erreichen. Viele können sich das nicht leisten. Beobachterinnen und Beobachter fürchten, dass vermehrt Frauen versuchen könnten, selbst eine Abtreibung vorzunehmen.

Biden verteidigt Abtreibungsrecht

US-Präsident Joe Biden hat mit Blick auf die Veröffentlichung des Entwurfs Gegenwehr angekündigt. Es brauche ein landesweites Gesetz, welches das Recht auf Abtreibung schütze, erklärte er. Er wolle sich dafür einsetzen, dass ein solches Gesetz »verabschiedet und unterzeichnet« werde. So einfach ist das allerdings nicht. Mit den aktuellen Mehrheiten im Senat können Bidens Demokraten ein solches Gesetz nicht ohne Weiteres durchbringen. Sollten die Demokraten bei den Kongresswahlen im November ihre sowieso schon knappe Mehrheit verlieren, könnten auch die Republikaner versuchen, Abtreibungen landesweit per Gesetz zu beschränken.

Es handle sich um die größte Einschränkung der Rechte in den letzten fünfzig Jahren - nicht nur für Frauen, sondern für alle Amerikaner, erklärten die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und der demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer. Die Gouverneurin des Bundesstaates New York, Kathy Hochul, erklärte, dass sie das Recht auf Abtreibung schützen werde. »Abtreibung wird in New York immer sicher und zugänglich sein.« Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom kündigte an, das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in der Landesverfassung festschreiben zu wollen. Vor dem Supreme Court in Washington kam es zu Protesten.

Leaks zu Entscheidungen des Supreme Court gab es auch in der Vergangenheit immer mal wieder. Höchst ungewöhnlich ist aber, dass der komplette Entwurf einer Urteilsbegründung veröffentlicht wird. »Die undichte Stelle könnte als Kalkül gesehen werden, um das Gericht dazu zu bewegen, sich in eine andere Richtung zu bewegen«, kommentierte die »Washington Post«. Republikanische Politikerinnen und Politiker begrüßten die Stoßrichtung des Entwurfs, verurteilten aber die Veröffentlichung. Eine endgültige Entscheidung wird in den kommenden zwei Monaten erwartet.

© dpa-infocom, dpa:220503-99-136511/3