Logo
Aktuell Ausland

Durchsuchungen auch im EU-Parlament in Brüssel

Drei Tage nach Enthüllungen über einen mutmaßlichen Korruptionsskandal sitzt der Schock im Europaparlament tief. In Brüssel treiben die Ermittler ihre Arbeit unterdessen voran.

EU-Parlament
Der Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel: Ermittler durchsuchten Räume - Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern wurden beschlagnahmt. Foto: Michael Kappeler
Der Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel: Ermittler durchsuchten Räume - Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern wurden beschlagnahmt.
Foto: Michael Kappeler

Im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Korruptionsskandal um EU-Parlamentsvize Eva Kaili haben Ermittler auch Räume im EU-Parlament in Brüssel durchsucht. Das teilte die belgische Staatsanwaltschaft mit.

Dabei seien Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern beschlagnahmt worden. Die Computer seien demnach seit Freitag »eingefroren« worden, um zu verhindern, dass für die Ermittlung benötigte Daten verschwinden können. Es hätten auch Razzien am Sonntag in Italien stattgefunden, hieß es.

Insgesamt hat es der Staatsanwaltschaft zufolge seit Beginn der Ermittlungen bereits 20 Durchsuchungen gegeben - 19 in Büros und Wohnräumen sowie eine im Europaparlament selbst. Dabei wurden demnach 600.000 Euro im Wohnsitz eines Verdächtigen gefunden, mehrere Hunderttausend Euro in einem Koffer in einem Brüsseler Hotel sowie 150.000 Euro in der Wohnung eines EU-Abgeordneten. Der Name wurde nicht genannt.

Wut, Zorn und Kummer

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola wertet die mutmaßliche Bestechung ihrer Vertreterin Eva Kaili als Angriff auf die europäische Demokratie. »Das Europäische Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird angegriffen, die europäische Demokratie wird angegriffen, und unsere Art der offenen, freien, demokratischen Gesellschaften wird angegriffen«, sagte Metsola in Straßburg. Zugleich kündigte sie an, dass das Verfahren zur Absetzung Kailis als Vizepräsidentin eingeleitet werde.

Metsola sprach angesichts der Enthüllungen von Wut, Zorn und Kummer, wegen der laufenden Ermittlungen müsse sie ihre Worte jedoch sorgsam wählen. Zu Beginn der letzten Plenarwoche des Jahres in Straßburg sagte sie: »Die Feinde der Demokratie, für die allein die Existenz dieses Parlaments eine Bedrohung darstellt, werden vor nichts Halt machen.« Die Malteserin sprach von »bösartigen Akteuren, die mit autokratischen Drittländern in Verbindung stehen«. Diese hätten angeblich unter anderem Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Mitglieder des Parlaments als Waffe eingesetzt.

Die griechische Sozialdemokratin Kaili ist eine von sechs Verdächtigen, die in dem Korruptionsskandal seit Freitag von den belgischen Behörden festgenommen wurde. Vier davon kamen am Sonntag in Untersuchungshaft - darunter Informationen der Deutschen Presse-Agentur und anderer Medien zufolge auch Kaili selbst sowie ihr Lebenspartner. Die Staatsanwaltschaft wirft Kaili und den anderen Verdächtigen vor, Entscheidungen im Europaparlament im Sinne des Golfemirats Katar beeinflusst zu haben. Dafür sollen sie Gegenleistungen wie hohe Geldsummen oder Sachgeschenke kassiert haben. Derzeit wird etwa auf EU-Ebene in Erwägung gezogen, die Visa-Regeln für Staatsbürger von Katar zu erleichtern.

Alle Vermögenswerte von Kaili eingefroren

Kaili selbst geriet weiter unter Druck. In ihrer Heimat Griechenland ließ die Anti-Geldwäsche-Behörde alle Vermögenswerte der 44-Jährigen einfrieren. Zugleich wurde ihre Absetzung vorangetrieben. Von ihren Pflichten als Vize hatte Metsola sie bereits entbunden.

Außenministerin Annalena Baerbock sprach von einem »unglaublichen Vorfall«. »Der muss jetzt ohne Wenn und Aber aufgeklärt werden mit der vollen Härte des Gesetzes.« EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigte sich bestürzt: »Die Vorwürfe gegen die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments sind sehr schwerwiegend.« Metsola versicherte: »Es wird nicht unter den Teppich gekehrt.« Sie kündigte unter anderem eine interne Untersuchung, Reformen in Sachen Transparenz und den Schutz von Whistleblowern im Parlament an.

Mit Blick auf den Gaslieferanten Katar und andere autokratische Staaten schloss Metsola ihr Statement mit dem Satz: »Wir würden lieber frieren, als gekauft zu werden.«

Katar weist Vorwürfe zurück

Katar wies die Vorwürfe in dem Skandal dagegen entschieden zurück. Es sei haltlos, die Behauptungen darüber mit der Regierung in Doha in Verbindung zu bringen, teilte die EU-Vertretung in Brüssel mit.

Im Europaparlament wurde für Dienstag ein Treffen der sogenannten Konferenz der Präsidenten angesetzt - das sind neben Metsola die Vorsitzenden der Fraktionen. Sie sollen das Verfahren zur Absetzung der ehemaligen Fernsehmoderatorin Kaili als Parlamentsvize einleiten. Noch am Dienstag könnte dann das Plenum darüber abstimmen. Aus ihrer griechischen Pasok-Partei und der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament wurde sie bereits ausgeschlossen.

Wie griechische Medien übereinstimmend berichteten, veranlasste der Chef der nationalen Anti-Geldwäsche-Behörde, Charalambos Vourliotis, wegen der Ermittlungen das Einfrieren von Kailis Vermögenswerten. Gleiches gilt demnach für ihre Eltern, ihre Schwester sowie ihren ebenfalls in Belgien verhafteten Freund. Untersucht würden Konten, Immobilienbesitz, Unternehmensbeteiligungen und ähnliche Vermögenswerte.

Die im Raum stehende Visa-Erleichterung für Katar dürfte es so bald nicht geben. Zwar hatte der zuständige Ausschuss Anfang Dezember seine Position festgelegt, jedoch verwies das Plenum angesichts der jüngsten Enthüllungen das Dossier am Montag zurück an den Ausschuss.

© dpa-infocom, dpa:221211-99-866183/17