Die frühere Ikone der Kommunistischen Plattform mit den Erfindern der Rote-Socken-Kampagne - passt das zusammen? Wer sich in der CDU umhört, stößt bei der Frage über Schnittmengen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf viel Schweigen. Selbst CDU-Chef Friedrich Merz sagt, er könne die Frage nicht beantworten. »Ich habe ein Gefühl oder einen Blick auf die Person Sahra Wagenknecht. Wer sich sonst noch in diesem Bündnis zusammengefunden hat, kann ich überhaupt nicht beurteilen.«
Das BSW sei »eine Art Black Box oder Red Box«, ergänzt Merz mit Blick auf Parteigründerin Wagenknecht, die früher SED-Mitglied war und später ganz weit links in der Linkspartei. Wagenknecht sei »in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem«, hatte Merz im Juni gesagt. Erst nach Protest der Ost-Wahlkämpfer erklärte er die Frage einer Zusammenarbeit zur Ländersache.
Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen stellt sich heraus: Am BSW führt für die Union wohl fast kein Weg vorbei. Ohne den Newcomer finden sich vermutlich keine demokratischen Mehrheiten jenseits der AfD.
CDU: BSW kein Wunschpartner
»Das ist kein Partner, den wir uns wünschen würden«, sagt der CDU-Politiker Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion und Merz-Vertrauter. Das gilt umgekehrt wohl auch für das BSW. Dennoch fällt Parteigründerin Wagenknecht, die sich von ihrer kommunistischen Vergangenheit längst losgesagt hat und mit ihrem BSW einen Mix aus rechten und linken Positionen vertritt, auf die Frage nach Schnittmengen mit der Union doch etwas ein.
Das Thema Schulen etwa, der Kampf gegen Unterrichtsausfall oder auch die innere Sicherheit. Da »gäbe es vielleicht Überschneidungen«, sagt Wagenknecht, die mit dem BSW in beiden Ländern aus dem Stand zweistellige Ergebnisse eingefahren hat. »Wir werden sehen, man muss miteinander reden.«
Knackpunkt: Außenpolitik
Obwohl auf Landesebene nicht über die deutsche Außenpolitik entschieden wird, stellt Wagenknecht hier eine Bedingung, die für die CDU kaum zu schlucken ist: Landesregierungen mit Beteiligung des BSW sollen sich dafür einsetzen, dass mehr für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg getan und nicht nur auf Waffenlieferungen gesetzt werde. Zudem sollen sie sich gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland wenden. »Es geht darum, dass sich die Landesregierung positioniert«, sagt Wagenknecht. Der jeweilige Ministerpräsident müsse diese Position auch nach außen vertreten.
Frei lehnt die Verknüpfung von Koalitionen in den Ländern mit außenpolitischen Themen strikt ab: »Das kann die Union nicht mitmachen.« Merz will an der Unterstützung der Ukraine und an der Raketenstationierung nicht rütteln. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hätte dagegen hier teils weniger Schwierigkeiten: eine andere Meinung zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine müsse möglich sein.
Berührungspunkt: Bildung
Bei einigen Themen, die tatsächlich auf Landesebene bestimmt werden, könnten CDU und BSW zusammenfinden. In der Bildungspolitik will die CDU Thüringen, dass »beste Bildung endlich durchgängig garantiert ist«. Sie will mehr Lehrer gewinnen, die Lehramtsausbildung effektiver machen sowie Seiteneinsteiger besser integrieren.
Dagegen hat auch das BSW nichts. In den BSW-Grundsätzen stehen größere Ambitionen: »Das deutsche Schulsystem mit 16 unterschiedlichen Lehrplänen, viel zu großen Klassen und frühzeitiger Selektion verweigert Kindern aus weniger begüterten Familien Bildungs- und Lebenschancen.« Eine Totalreform des föderalen Bildungssystems hat die CDU aber sicher nicht auf dem Plan.
Berührungspunkt: Migration
Trotz aller Vorbehalte findet auch Frei Überschneidungen: Man sehe, »dass das BSW zu einer realistischen Migrationspolitik zu neigen scheint«. Wagenknecht setzt seit langem auf eine strikte Begrenzung der Migration und auf die Kürzung von Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerber - wie die Union. Das ist nur zum Teil ein Landesthema, dürfte aber für Koalitionen kein Stolperstein sein.
Frei erkennt auch an: »Wir sehen auch, dass es im Bereich der Gesellschaftspolitik Überschneidungen gibt«. In der CDU heißt es, gemeint seien etwa das Nein zur Freigabe von Cannabis oder Übereinstimmungen in der Familienpolitik.
Berührungspunkt: Klimaschutz, Wirtschaft und Sozialpolitik
Ziemlich nah beieinander sind beide Seiten beim Thema Klimaschutz nach dem Grundsatz: im Prinzip wichtig, aber keine Priorität gerade. So setzt sich Wagenknecht für weitere Nutzung von Verbrennermotoren ein und stemmt sich gegen Tempo 120 auf Autobahnen. Da geht die CDU sicher mit. Einer Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) vom Juni zufolge tendiert die BSW-Wählerschaft bei der Einstellung zu Klimaschutz und Wirtschaftswachstum nahe bei der CDU/CSU-Wählerschaft.
Geht es um die Sozialpolitik, sieht die KAS-Studie ebenfalls eine Nähe zwischen der Unionswählerschaft und jener des BSW. Auf einer Skala zwischen 0 und 10 tendiert die Union hier allerdings stärker als das BSW in Richtung »weniger Steuern und Abgaben, weniger sozialstaatliche Leistungen«. Wagenknecht will vor allem bessere Rentenleistungen, auch um den Preis höherer Beiträge - die CDU will das nicht. Auch das ist aber kein Landesthema.
Öffnung zur Linkspartei?
Zum BSW gibt es bei der CDU keinen Unvereinbarkeitsbeschluss - anders als bei der Linken, von der sich Wagenknechts Flügel im Oktober 2023 abgespalten hat. So heißt es in einem CDU-Parteitagsbeschluss von 2018: »Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.«
Merz betont jetzt erneut: »Der Beschluss gilt. Und damit umzugehen, wird dann auch Sache der beiden Landesverbände in Sachsen und in Thüringen sein.«
In Thüringen könnte eine Regierungsbildung ohne die AfD von einer wie auch immer gearteten Unterstützung durch die Linke abhängen. Die thüringische Linken-Chefin Ulrike Grosse-Röthig drängt die Union deshalb, sich für Kooperationen zu öffnen. In der CDU-Spitze wird bei einem solchen Szenario jedoch scharfe Kritik etwa aus den westlichen Landesverbänden befürchtet.
Auch die Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit dem BSW sind in der Partei groß. Für Merz könnte die Frage »passt tiefrot zu schwarz?« vor der Entscheidung über die K-Frage der Union noch viele Turbulenzen bereithalten.
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