BERLIN. Nach dem CDU-Debakel bei der Hamburger Bürgerschaftswahl drängen führende Christdemokraten auf eine schnelle Klärung des Kurses und einen Fahrplan für die Kanzlerkandidatur.
»Das Ergebnis muss uns alle ein Stück wachrütteln, dass es gerade um viel geht«, sagte einer der potenziellen Anwärter, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er zählte auf: »Das ist Hamburg, das ist Thüringen, das sind die Umfragewerte, das ist die Lage der Bundespartei.« Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther mahnte im ZDF, die Bundes-CDU müsse jetzt so schnell wie möglich die offenen Fragen klären. Dabei nannte er die Führungsfrage, aber auch den Kurs für Thüringen, wo das Verhältnis zur Linkspartei ungeklärt ist. Ähnlich äußerte sich sein Saar-Kollege Tobias Hans.
Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg war die dort ohnehin schwache CDU noch weiter gesunken - auf ihr bundesweit schlechtestes Landtagswahlergebnis seit knapp 70 Jahren. An diesem Montag will die CDU-Spitze zunächst im Präsidium und später im Vorstand über die Konsequenzen beraten. Erwartet wurde, dass die Parteiführung einen Zeitplan für das weitere Vorgehen nach dem angekündigten Rückzug von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer vorlegt.
Unklar war zunächst, ob sich auch weitere Kandidaten für den Parteivorsitz aus der Deckung wagen. Als aussichtsreiche Kandidaten gelten etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Jens Spahn, die beide Mitglieder des Präsidiums sind. Beide haben sich noch nicht offiziell zu ihren Ambitionen erklärt. Das gilt auch für Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der wie der frühere Bundesumweltminister Norbert Röttgen nicht den Führungsgremien angehört. Röttgen hat bislang als einziger gesagt, dass er CDU-Chef werden will.
Die CDU habe vor allem nach der Regierungskrise in Thüringen »ein aktuelles Bild der Führungslosigkeit« abgegeben, beklagte Saar-Ministerpräsident Hans in der ARD. Es sei der Eindruck entstanden, dass der CDU der Kompass fehle. Es sei deshalb an der Zeit, »hier und jetzt auch schnelle Entscheidungen zu treffen, in Thüringen, aber auch im Bund Klarheit zu schaffen«.
Dies sind die Probleme der CDU:
- FÜHRUNGSFRAGE: Es ist bisher ungeklärt, wie und wann die CDU die Nachfolge Kramp-Karrenbauers auf dem Parteivorsitz klären will - und ob damit auch die Klärung der Kanzlerkandidatur verbunden sein soll. CSU-Chef Markus Söder will beide Fragen zunächst getrennt halten: Er drängt die Schwesterpartei zu einer schnellen Kür ihres neuen Chefs, will die K-Frage aber erst zum Jahresende hin klären, damit der Kandidat nicht schon lange vor dem Wahltermin 2021 verschlissen wird - und die CSU über den Kandidaten mitentscheiden kann.
- THÜRINGEN: Dort steht die CDU unter Druck, weil sie zusammen mit der AfD den Drei-Tage-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich gewählt hatte. Der linke Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow will an der Spitze von Rot-Rot-Grün erneut antreten, braucht aber mangels Mehrheit Unterstützung. Die CDU hat nun eine »Stabilitätsvereinbarung« geschlossen, nach der sie einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung bis zu einer Neuwahl am 25. April 2021 projektbezogen zu Mehrheiten verhelfen will. Darüber wird an diesem Montag weiter beraten. Das Vorhaben steht aber im Widerspruch zum CDU-Parteitagsbeschluss von 2018, demzufolge Koalitionen oder ähnliche Kooperationen mit AfD wie Linker abgelehnt werden. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bestand am Sonntagabend darauf: »Keine Zusammenarbeit mit Linken und AfD.«
- DIE WAHLSCHWÄCHE: Das Ergebnis von Hamburg zeigt nicht nur, dass die CDU ein Problem in Großstädten hat. Sie hat auch eines mit den jüngeren Wählern. Die Grünen waren dort mit 31 Prozent bei den unter 60-Jährigen rund dreimal so stark wie die CDU mit 10 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen kommt die CDU auf lediglich 7 Prozent, bei den ab 60-Jährigen noch auf 15 Prozent. Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, verlangte unter Verweis auf das Wahlergebnis: »Es ist jetzt wichtig, dass die Verantwortlichen erkennbar machen, dass sie die Botschaften verstanden haben.«
SPD und Grüne hatten einen klaren Wahlsieg eingefahren und können damit die letzte rot-grüne Koalition in Bund und Ländern fortsetzen. Die SPD von Bürgermeister Peter Tschentscher hatte sich vom jahrelangen Negativtrend im Bund abgesetzt und den erstarkten Regierungspartner Grüne auf Abstand gehalten. Überraschend verblieb die zuletzt in allen Bundesländern erfolgreiche AfD nur knapp in der Bürgerschaft. Noch knapper ist es für die FDP - ob sie wirklich im Parlament bleiben kann, entscheidet erst das vorläufige Endergebnis am Montagabend. In einem der Wahllokale waren möglicherweise die Stimmen von FDP und Grünen falsch zugeordnet worden, dies könnte im Endergebnis bedeuten, dass die Liberalen unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen.
Bei den Freidemokraten dürften die Spitzengremien am Montag daher auch über die Frage diskutieren, wie es weitergeht. Parteichef Christian Lindner hatte am Wahlabend auf die Frage nach persönliche Konsequenzen in der ARD gesagt: »Die Frage stellt sich nicht.«